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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Waisenkinderversuche

Autor
Autor:
Werner Eberlein

Versuche zur Sprachentwicklung (Kaspar-Hauser-Versuche). Friedrich II. von Hohenstaufen (26.12.1194 bis 13.12.1250, römischer Kaiser, deutscher König, König von Jerusalem und Sizilien, Naturbeobachter, Verhaltensforscher und Schriftsteller) wird ein solcher Versuch zugeschrieben (Eberhard Horst, 1975): “Der Kaiser wollte die ursprüngliche Sprache der Menschheit herausfinden. Deshalb ließ er einige neugeborene Kinder ihren Müttern wegnehmen und an Pflegerinnen und Ammen übergeben. Sie sollten den Kindern Milch geben, daß sie an den Brüsten saugen könnten, sie baden und waschen, aber keinesfalls mit ihnen kosen und zu ihnen sprechen. Er wollte nämlich untersuchen, ob sie (nach ihrem Heranwachsen) die hebräische Sprache sprächen, die älteste, oder die griechische oder die lateinische oder die arabische oder aber die Sprache ihrer Eltern, die sie hervorgebracht hätten. Aber er mühte sich umsonst, weil alle Kinder starben ... Denn sie können ohne das Patschen und das fröhliche Grimassenschneiden und die Liebkosungen ihrer Ammen und Ernährerinnen nicht leben.” Von einem ähnlichen Versuch des Pharao Psammetich im 7. Jh. v. Chr. berichtet der altgriechische Geschichtsschreiber und Reiseschriftsteller Herodot (ca. 485 – 425 v.Chr.) in seinen Büchern zur antiken Geschichte. Auch hier ging es um die Ursprache der Menschheit. Aber gerade die Tatsache, daß ein solcher Versuch ein zweites Mal in der Geschichte unternommen worden sein soll, läßt die Historiker aufhorchen. Salimbene von Parma, der einzige Chronist von Friedrichs Waisenkinderversuch, stand in politischer Gegnerschaft zum Kaiser. Daraus schließt die Fachwelt, daß der berichtete Versuch so nicht stattfand. Es wird vermutet, daß hier Friedrich II., dem verbürgten Autoren des Falkenbuchs (De arte venandi cum avibus), eine unmoralische Vorgehensweise und rücksichtslose Wißbegier unterstellt werden sollte. Aufgrund der wissenschaftlich-empirischen Vorgehensweise (diese sollte in Mißkredit gebracht werden), hatte das Falkenbuch Gültigkeit bis ins 18. Jahrhundert, in Teilen bis heute. Der Waisenkinderversuch von Friedrich II. eignet sich damit aus Sicht der Wissenschaft besser für die Teilbereiche Geschichte der Psychologie und Politische Psychologie als für den der Pädagogischen Psychologie.


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