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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

archaisches Weltbild

Autor
Autor:
Anneliese Widmann-Kramer

archaisches Weltbild, eine Form der Weltaneignung und der Welterklärung, mit der, historisch gesehen, die Entwicklung vom frühmenschlichen Nomadenleben in ziehenden Kohorten zum Neumenschen mit Stammeszugehörigkeit, Erkennen von Verwandtschaft und Erziehung des Nachwuchses eingesetzt hat. Totem und Tabu sind charakteristische Elemente eines Stammeslebens und des zugehörigen archaischen Weltbildes. Der Stamm ist der Mittelpunkt des Welterlebens, seine Geschichte ist die Geschichte der Welt. Archaisches Denken ist egozentrisch und soziozentrisch: Ortsangaben werden auf Richtungen vom eigenen Körper aus bezogen. "Mit dem Kopf" heißt bei manchen Stämmen der Südsee so viel wie "oben", "fußwärts" bedeutet "unten". Die soziozentrische Raumorientierung ist bei einem Stamm auf Mali mit der Lage eines Berggipfels verbunden, an dessen Fuße der Stamm lebt. Das Wort "fern" gilt für den Raum, für die Zeit und für die Verwandtschaft. Im archaischen Denken spielen Analogien eine besondere Rolle. Der Gewittergott Thor war bei den Germanen der Gott, der nach Analogie der Schmiede mit Schmiedehammer, lautem Getöse und Funkenflug am Himmel entlangfährt. Der Pharao der Ägypter fuhr mit dem Sonnenwagen über den Himmelsbogen, um nachts unter der Erdscheibe zurückzukehren, ganz wie der Sonnengott Helios bei den Griechen vom (östlichen) Hellespont aus zum Himmel hinauffährt, um am Taurusgebirge (im Westen) unterzutauchen, wonach ihn die Hesperiden des nachts unter der Erdscheibe wieder zum Hellespont für das nächste morgendliche Auftauchen bringen. Mythische Zusammenhänge erklären auch Unerklärbares an Ursache und Wirkungen: Vergehen gegen Stammesgebote werden von den Göttern streng geahndet. Zum Beispiel durch Überschwemmungen, Seuchen oder persönliches Unglück. Auf mythische Weise wird die Zukunft vorausgesagt, auch hier nach Ähnlichkeiten: Wolkenbilder werden als Ankündigungen künftiger Ereignisse gedeutet; aus Gedärmen oder aus Formbildungen von Insektenschwärmen werden künftige Ereignisse vorhergesagt.

Literatur

Hallpike, Chr.R. (1990). Die Grundlagen des primitiven Denkens. Stuttgart: Cotta.

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