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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Beruf

Autor
Autor:
Sonja Margarethe Amstetter

die Erwerbstätigkeit, besonders wenn sie auf einer speziellen Ausbildung beruht und als Lebensaufgabe, als »Berufung«, gelten kann, also zum Unterschied vom bloßen »Arbeitsplatz« oder »Job«. Der Beruf bestimmt weitgehend die soziale Rangordnung; umgekehrt sind viele Berufe nur einem bestimmten Stande zugänglich. Früher sorgten Handwerker-Innungen und ähnliche Standesorganisationen geradezu für ein berufliches Kastensystem. So waren manche Berufe über Generationen hinweg bestimmten Familien zugeteilt. Solche Traditionen sicherten ein Standesbewußtsein, eine Berufs-Etikette, ein »Berufs-Ethos« und manchmal auch Standesdünkel. Züge dieser Art haben sich am deutlichsten bei Beamten, Lehrern, Ärzten, Juristen und Pfarrern erhalten. Die Spezialisierung bringt oft eine Abkapselung vom übrigen Leben, eine »Betriebsblindheit«, oder (wie man polemisch sagt) die Entwicklung zum »Fachidioten« mit sich. Ist die Berufswahl nicht allzusehr von Traditionen vorgeprägt oder durch äußere Bedingungen eingeengt, können sich in ihr wichtige Züge der Persönlichkeit ausdrücken und weiterentwickeln. Das gilt nicht nur für die Begabungen, die ausgenutzt werden. So mag ein Mensch mit starken aggressiven Tendenzen eine Arbeit suchen, in der er als Steinmetz, Fleischer, Polizist, Chirurg aggressiv sein kann; und vielleicht weiß er nicht einmal, daß er diesen Beruf auch deshalb gewählt hat. Besonderheiten der erotischen Konstitution können sich in einer Berufswahl äußern, die mit Körperpflege zu tun hat, mit Kleidung, mit einer Neugier, die auf Voyeurismus beruht, oder mit Selbstdarstellung, die einem Exhibitionismus entspricht. Wichtig für die Wahl ist oft auch das Berufsmilieu. So mag ein Mensch, der die Ordnung liebt, zu dem Reglement eines Beamtendaseins neigen, und einer, der eine gewisse Freiheit braucht, einen der Berufe wählen, denen man die Sonderrechte der Boheme zubilligt. Seelische Fehlentwicklungen, wie sie in manchen Berufen auffallend häu fig vorkommen, werden im Grunde durch die besonderen Gelegenheiten und Versuchungen dieser Berufe nur veranlaßt; sie sind bereits in den Charaktereigenschaften angelegt, die unbewußt zu der Berufswahl geführt haben. Jene Lehrer beispielsweise, die durch Besserwisserei unangenehm auffallen, übertragen damit nicht nur ihre gewohnte Vorzugsstellung vor der Schulklasse in ihre Beziehung zu Erwachsenen ; sie haben von vornherein eine Position gewählt, in der sie durch ihr Wissen hervorragen können. Wenn ein Berufspolitiker dem Machtrausch erliegt, ist er nicht bloß ein Opfer des Umgangs mit Macht, sondern auch das seines ursprünglichen Machtverlangens. In manchen Berufen strahlen deren Anforderungen, Konventionen und moralischen Gebote auf die ganze Familie aus. Das wird ganz besonders deutlich bei Pfarrersfamilien. Hier bekommt auch die Pfarrersfrau ein Amt, obwohl sie es nicht gewählt hat, nicht dafür ausgebildet ist und damit weder offiziell betraut noch dafür entlohnt wird. Pfarrerskinder leiden unter dem Druck der vom väterlichen Amt bestimmten überstrengen Moraloft so, daß sie eigentümliche Neurosen entwickeln, die man »eklesiogen « ( = kirchen-bedingt) genannt hat. Ähnliche Konflikte gibt es aber auch im familiären Umkreis anderer Berufe mit ausgeprägtem Standesethos. Starre Berufsauffassungen haben zweifellos viele Menschen eingeengt und auch zu einer Kastenbildung bei getragen. Die berufliche Mobilität, die durch die moderne Entwicklung mehr und mehr gefordert wird, eröffnet zwar die Entfaltung verschiedener Fähigkeiten in einem Lebenslauf, aber sie schwächt auch die Bindungen, durch die ein Beruf als Lebensaufgabe Halt bietet.

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