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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Ideal

Autor
Autor:
Anneliese Widmann-Kramer

ein Hochziel, dem man nachstrebt, oder ein Wunschbild, das man sich macht. Es gehört zum Ideal, daß es sich in der Wirklichkeit nicht finden läßt. Wenn man einige wenige Werte zum Richtmaß, zum Ideal macht, vernachlässigt man damit nicht nur andere Werte, die auch einen Anspruch auf Beachtung hätten, sondern zugleich auch alle die Realitäten in der Natur des Menschen, die eine Befolgung des Ideals unmöglich machen. Das läßt sich leicht an der Geschichte der großen Ideen erkennen. Wenn etwa eine Religion als Kirche organisiert wird, oder eine politische Weltanschauung als Partei und dann als Staat, passen sich die Vertreter des Ideals den realen Verhältnissen an, benutzen die Mittel der Macht oder werben Anhänger durch eine Art von Demagogie. Das Ideal wird zu einer Ideologie. Einer solchen herrschenden Weltanschauung werden von einzelnen andere Ideale entgegengesetzt, die als »Traumtänzerei« oder als gefährliche »Ketzerei« erscheinen. Die Tragik des Don Quichote lag jedoch darin, daß er Idealforderungen wörtlich nahm, denen die anderen längst nur noch Lippendienste erwiesen. Zu einem Ideal als Wunschbild gehören fast immer eine Reihe von Eigenschaften, die sich nicht miteinander vereinbaren lassen. Das wird besonders deutlich bei den Wunschvorstellungen, die sich Männer und Frauen vom jeweils anderen Geschlecht machen. Ein Mann mag eine hübsche, leidenschaftlich aufgeschlossene Frau suchen, die ihm absolut treu ist und auch noch als Mutter und Köchin großartiges leistet; aber wenn es so ein Wunderwesen gäbe, würde es wohl auf einen Mann warten, der als kühner Held doch auch ein braver Hausvater ist. Manchmal hat man den Eindruck, daß Idealabforderungen dieser Art geradezu den Sinn haben, daß sie unerfüllbar sind, sodaß nie eine Bindung eingegangen werden muß. Dennoch wird uns von manchen Seiten entgegengehalten, daß man nicht ohne Ideale leben könne, die unserem Dasein erst einen Sinn verliehen. Wirklich sollte ein Mensch allmählich erkennen, welche Werte für ihn besonders wichtig sind, und dann müßte er versuchen, sich nach ihnen zu richten. Darüber dürfte er aber niemals vergessen, daß es noch andere Werte gibt, und sich nicht über die Realitäten hinwegtäuschen, die einer einseitigen Ausrichtung entgegenstehen. Ideale sollten nie zu überwert-Ideen werden und nie zu Idolen, die man wie Götzen anbetet.

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