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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Glaube

Autor
Autor:
Manuela Bartheim-Rixen

eine Überzeugung, für die man keine Beweise anführen kann, die sich aber auch nicht ohne weiteres widerlegen läßt. Im Glauben mischt sich manchmal ein »für wahr halten« mit einem »für wert halten«. Die größte Bedeutung hat der Glaube, wenn er eine Wunscherfüllung verspricht. So gehört zum religiösen Glauben meist die Vorstellung von einem Gott oder einer unpersönlichen Macht, die den Einzelnen führt und schützt. Hierher gehört auch die Überzeugung, daß unser Leben nicht mit dem irdischen Tod aufhören könne, sondern in einem Paradies glücklicher ohne Ende fortdauern werde. Ein Glaubensinhalt steht selten allein; meist ist er in ein ganzes System von Glaubensvorstellungen gebettet, wie es die ausgebildeten Religionen darstellen. Oft widersprechen verschiedene Inhalte eines Glaubens logisch einander; etwa wenn man Gott gerecht nennt und dennoch von ihm besondere Gnade erwartet; oder wenn man Gott allmächtig nennt und doch die Gegenmacht eines Teufels anerkennt. Man könnte sagen, daß ein Glaubenssystem geradezu die Widersprüche des wirklichen Lebens, die so schwer zu begreifen und zu ertragen sind, überdecken soll. Daß der Glaube gegen die Einsicht in widrige Realitäten abschirmen soll, drückte der erste lateinische Kirchenlehrer Tertullian (t 220) mit den Worten aus: »Credo, quia absurdum« (»Ich glaube, weil es absurd ist«). Der Glaube, der das Gefühl einer Sicherheit vermittelt, scheint dem Wissen überlegen zu sein, dessen Grenzen sogar die Ungläubigen nicht leugnen können. Es ist schwer, das Nichtwissen zu ertragen, ohne es durch einen Glauben zuzudecken. Noch mehr scheint sich der Glaube dadurch zu empfehlen, daß er »Berge versetzen kann«. Aber die unheimliche Kraft, die ein Glaube verleiht, hängt nicht an dem Inhalt des Glaubens, sondern einzig an der Stärke, mit dem man an ihm festhält. Für die verschiedensten Glaubensformen sind Märtyrer freudig in den Tod gegangen, und ihr Glaube hat sie sogar gegen die Qualen auf dem Scheiterhaufen abgeschirmt. Während Freud die Religion zum Teil als Illusion begriff, hat C. G. Jung dem Glauben eine therapeutische Wirkung zugeschrieben. Deshalb wird er heute als Kronzeuge für verschiedene Glaubensformen in Anspruch genommen, im Grunde zu Unrecht, denn er sah das Heilsame nicht in einem Glaubensinhalt, sondern im Glauben-Können überhaupt. Da die Glaubenskraft aus der Glaubensfähigkeit stammt, wird sie letzten Endes aus der eigenen Seele gespeist. Aber der Mensch ist sich seiner Schwäche so bewußt, daß er seine Überzeugung vom eigenen Glück an irgendwas heften muß, das er nach außen projiziert, auf einen persönlichen Gott, auf eine Idee, auf einen Fetisch. So sicher ihn der Glaube stimmen mag, so sehr fällt er auf eine totale Unsicherheit zurück, wenn ein Ereignis eintritt, das seinen Glauben als falsch erweist. Wie mancher Nationalsozialist, der bis kurz vor dem bitteren Ende an seinen Führer mit Inbrunst glaubte, ist nicht in Verzweiflung gestürzt, als er erkennen mußte, wie sehr er von seinem Idol betrogen worden war! Da der Glaube keine Kritik verträgt, läßt sich ein »Aberglaube« nur daran erkennen, daß ihn so wenige teilen, und der »Wahnglaube« eines Paranoia-Kranken daran, daß er eine einmalige »Privatreligion« ist.

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