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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Zeitbewußtsein

Autor
Autor:
Manuela Bartheim-Rixen

die Art und Weise, in der man vergangene Ereignisse subjektiv interpretiert, über die Gegenwart reflektiert und über die Zukunft nachdenkt. Hierin unterscheiden wir uns beträchtlich: Der Eine betrachtet sein jetziges Leben als Resultat seiner Bemühungen in der Vergangenheit, ein Anderer denkt weniger über die Vergangenheit nach und genießt das Leben in der Gegenwart, und wieder ein Anderer glaubt an die ständige Wiederholung bereits bekannter Dinge. Diese Betrachtungen bestimmen, wie sie sich fühlen und mit welchen Anstrengungen sie das eigene Leben gestalten. Vier Formen des Zeitbewußtseins werden unterschieden (Häder 1996):

1) okkasionales Zeitbewußtsein: Nur die Gegenwart spielt unter dem Gesichtspunkt “Hier und Jetzt” eine Rolle: “Bei dem was ich tue, interessiert mich wenig, was gestern war und was morgen passieren wird”. Veränderungen werden als willkürlich wahrgenommen, ihr Auftreten wird als nicht erwartbar bewertet; findet sich eher bei etwas älteren Menschen, bei Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau und ist bei Männern allgemein häufiger als bei Frauen zu beobachten.

2) zyklisches Zeitbewußtsein: Die Gegenwart stellt ebenfalls im Mittelpunkt des Lebens – allerdings als ständige Wiederholung bereits gelebter Prozesse: “In meinem Leben ist eigentlich nichts Neues mehr zu erwarten; es passieren sowieso Sachen, auf die ich keinen Einfluß habe”; findet sich deutlicher als anderswo bei älteren Menschen und bei Angehörigen unterer Schichten; Frauen sind im Vergleich zu Männern ebenfalls deutlich unterrepräsentiert. Bei zyklischem Zeitbewußtsein werden deutlich weniger Bemühungen in den Bereichen Wohnen, Partnerschaft, Freizeit, soziale Sicherung, Umwelt und Kinder unternommen.

3) linear geschlossenes Zeitbewußtsein: Die Vergangenheit wird als Bestimmungsgröße der Gegenwart verstanden, und in der Gegenwart wird eine besondere Gestaltungsmöglichkeit für die Zukunft gesehen: “In meiner Entwicklung bewege ich mich auf ein Ziel zu, dessen Erreichen ich durch mein Handeln beeinflussen kann”; findet sich bei eher Jüngeren, bei Personen mit hohem Bildungsniveau und bei Angehörigen höherer Schichten. Personen mit linear geschlossenem Zeitbewußtsein haben häufiger Arbeitsplätze mit Verantwortung und Entscheidungsbefugnissen als andere.

4) linear offenes Zeitbewußtsein: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden als Kontinuum betrachtet: Es fehlt jedoch ein bestimmtes Ziel, auf das hingelebt wird, so daß die Gestaltung der Gegenwart auch bei diesem Typus zentral ist: “Was die Zukunft für mich bringt, hängt davon ab, was ich heute mache. Wie die Zukunft aber genau aussieht, weiß ich nicht”; findet sich eher bei Jüngeren und bei Personen mit höherem Bildungsniveau.

Trotz aller soziodemographischer und regionaler Unterschiede dominieren insgesamt gesehen in Deutschland die letztgenannten beiden Formen des linearen Zeitbewußtseins und können so als Merkmal moderner Gesellschaften angesehen werden (Zeit).

Literatur

Tokarski, W. (1997). The taste of now – vom Umgang mit der Zeit. In J. Fromme & R. Freericks, R. (Hrsg.), Freizeit zwischen Ethik und Ästhetik. Neuwied.


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