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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Vernachlässigung von Kindern

Autor
Autor:
Irene Roubicek-Solms

das ständige und/oder wiederholte Unterlassen fürsorglichen Verhaltens seitens der sorgeberechtigten Erwachsenen/Eltern; eine Mangelversorgung u.a. in bezug auf Ernährung, Körperhygiene, gesundheitliche Versorgung ebenso wie in bezug auf kognitive Förderung und emotionale Versorgung. Existentiell bedroht durch Verhungern und/oder Verdursten sind v.a. Säuglinge und Kleinkinder. Weitere Folgeerscheinungen von Vernachlässigung können alle psychopathologischen Störungsbilder (Deprivation, psychische; Depression, Sucht, Gewalt) ebenso wie (psycho-)somatische Erkrankungen und ernährungsbedingte Entwicklungsstörungen sein. Mit der modernen Kleinkindforschung sind die Bedeutung von Bindung (Bindungsforschung) und die gravierenden Folgen vernachlässigender Eltern-Kind-Beziehungen (Familie) evident geworden, deren Folgen bis ins Erwachsenenalter reichen (Säuglingsforschung, Kinderpsychologie). In der Psychotraumaforschung und -therapie nimmt mittlerweile die Bedeutung von Vernachlässigung (und Mißhandlung) von Kindern einen hohen Stellenwert ein. 5-10% aller Kinder in Deutschland werden klinisch relevant durch ihre Eltern abgelehnt und vernachlässigt. Vernachlässigung ist oftmals verbunden mit chronischen sozioökonomischen Problemen in den Familien und entsprechender Armut. Häufig werden diese Strukturmerkmale über Generationen hinweg “sozial vererbt”. 1 Million Kinder und Jugendliche in Deutschland unter 18 Jahren sind von Versorgungen nach dem Bundessozialhilfegesetz abhängig. 500.000 Kinder sind von Wohnungs- und Obdachlosigkeit betroffen. Emotionale Vernachlässigung findet sich auch in sozial höheren Schichten als mangelnde Erziehungskompetenz und unzureichendes Bindungsverhalten bei gleichzeitiger Kompensation durch materielle Überversorgung. Die volkswirtschaftlichen Folgekosten von Vernachlässigung, die z.B. durch langjährige Heimunterbringung, chronische Erkrankungen, langjährige Erwerbsausfallzeiten und Frühberentung entstehen, sind bisher kaum erforscht, aber als sehr hoch einzuschätzen. Historisch ist die Vernachlässigung im 19. Jhdt. mit der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung in das Interesse der entstehenden Sozialarbeit gerückt. In der heutigen Jugendhilfe und Kinderschutzarbeit findet die Vernachlässigung von Kindern, die bisher kaum Beachtung gefunden hat, zunehmendes Interesse.

Literatur

Deutscher Kinderschutzbund u. Institut für soziale Arbeit Münster (2000). Kindesvernachlässigung. Erkennen, Beurteilen, Handeln. Münster/Wuppertal

Kürner, P., R. Nafroth (1994). Die vergessenen Kinder. Köln.


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