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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Drogensystematik

Autor
Autor:
Manuela Bartheim-Rixen

Versuch der Systematisierung von Drogen. Es hat zahlreiche Versuche gegeben, die verschiedenen Drogen zu systematisieren, die jedoch mangelhaft oder historisch überholt sind: Über die Einteilung in Rauschgifte und Genußgifte hat es immer wieder den ideologischen Streit zwischen Hedonisten und Moralisten gegeben; zudem ist inzwischen naturwissenschaftlich ohne jeden Zweifel belegt, daß jedes Gift bei entsprechend hoher oder kombinierter Dosierung oder bei besonderer Applikationsform zum Rausch führen kann. Über die Einteilung in landwirtschaftliche und chemische Drogen, die besonders unter polit-ökonomischen Aspekten eine historisch bedeutende Rolle spielte, ist die Geschichte hinweggegangen, seit ein großer Teil der landwirtschaftlichen Drogen entweder synthetisiert werden konnte (z.B. LSD als chemisch hergestellter Wirktoff, der natürlicherweise im Mutterkorn auftritt) oder durch chemische Prozesse in ihrer Wirkung verstärkt (Haschischöl als Cannabis-Produkt) oder für den Transport aufbereitet (Heroin als Endprodukt des Opiums) werden.

Über die Einteilung in weiche und harte Drogen ist ein ideologischer Streit in den vergangenen drei Jahrzehnten entbrannt, in dem es immer wieder scheinbar letzte wissenschaftliche Argumente dafür gibt, eine Droge als "weich", d.h. ohne großes, insbesondere ohne körperliches Abhängigkeits-Potential, zu charakterisieren - im Gegensatz zu den "stärkeren", in bezug auf die körperliche Selbstzerstörung "harten" Drogen; dieser Streit könnte geschlichtet werden durch die alltägliche Erfahrung aus der Drogenberatung und -therapie, daß es nicht weiche und harte Drogen, sondern bei jeder Droge Konsumenten mit (vielleicht) noch geringer und Konsumenten mit hoher persönlicher Gefährdung, also gewissermaßen "weiche" und "harte" Konsummuster gibt. Über die Einteilung in legale und illegale oder über die Einteilung in gesellschaftlich tolerierte und gesellschaftlich nicht tolerierte (was nur selten voll identisch ist mit juristischen Normen) Drogen kann man praktisch nicht streiten, da es kein Land der Welt gibt, in dem diese Einteilung wissenschaftslogischen Regeln folgt, sondern eher den Gesetzen der Ökonomie, nach denen z.B. die weitgehend landwirtschaftlich produzierten Drogen aus der Dritten Welt kaum Chancen gegenüber der Konkurrenz aus den Pharma-Konzernen der Industriestaaten haben, so daß trotz internationaler Abkommen z.T. immer noch starke nationale Unterschiede bestehen.

Weitere Einteilungsversuche, die weniger systematischen als darstellungslogischen Charakter tragen, wie z.B. Alkohol, Medikamente, Rauschmittel, Nikotin, zeigen im Grunde, daß für die praktische Arbeit die ganzen Bemühungen um Systematisierung wenig fruchtbar sind. In der Praxis ist viel entscheidender die bei Patienten, Klienten, Betroffenen oder Hilfesuchenden vorhandene und wirksame süchtige Haltung, die sich lebensgeschichtlich eher zufällig diesem oder jenem Stoff zugewandt hat. Praktikabel insbesondere für die internationale Diskussion und für die wissenschaftliche Dokumentation erscheint trotz verschiedener Mängel die 1964 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingeführte Klassifikation von empirisch vorfindlichen Konsumententypen. Wie für andere Krankheiten auch gilt aber für die Stoff-Abhängigkeit und deren Definitions-Merkmale die von der Weltgesundheitsorganisation verwaltete und auf Einigungsprozessen internationaler Experten-Gruppen basierende Klassifikation (ICD-10). Die Mängel dieser für die Bedürfnisse einer internationalen Verständigung zweifelsfrei bisher ergiebigen Einteilung bestehen vor allem darin, daß sie die der Struktur der meisten illegalen Märkte folgende Tendenz zur Polytoxikomanie (die "Allesfresser" sind relativ selten dazu psychisch prädisponiert, sondern werden erst auf Grund von Mangelsituationen, Sonderangeboten und Unregelmäßigkeiten des illegalen Marktes gezwungen, den gewohnten Stoff zeitweilig durch einen anderen zu ersetzen) ebensowenig berücksichtigt wie regionale Besonderheiten (Asthmazigaretten, Inhalationsgifte wie Chloroform, Trichloräthylen, Benzin usw.). Augenscheinlichster und vielfach kritisierter Mangel der geltenden WHO-Systematik ist jedoch die Ausklammerung von Nikotin - die bisher noch im wissenschaftlichen Streit befangene Frage, ob Nikotin das Zentralnervensystem oder das vegetative Nervensystem beeinträchtigt, hätte diesen bedeutenden Entscheidungsprozeß nicht beeinflussen dürfen.


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