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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Geschwister

Autor
Autor:
Julia Schneider-Ermer

die Kinder gemeinsamer Eltern, die miteinander in einer Familie aufwachsen. Ihre Zusammengehörigkeit hängt weniger von der Blutsverwandtschaft als von der Gemeinsamkeit des Erlebens während der Kindheit ab. »Biologische« Geschwister, die früh getrennt worden sind, werden sich fremd. Kinder verschiedener Eltern, die gemeinsam unter der Obhut eines »psychologischen« Elternpaares aufwachsen, können einander so nahe stehen, als wären sie blutsverwandt. Die Einordnung des Kindes in die Gemeinschaft der Geschwister stellt das Muster jeder späteren Einordnung in eine Gemeinschaft von etwa Gleichberechtigten dar. Brüder entwickeln ein Verhältnis aus Kameraderie und Rivalität, das für Bruderschaften und Männerbünde vorbildlich wird. Das Verhältnis von Schwestern zueinander zeichnet die Beziehungen in Frauen-Gemeinschaften (z. B. Schwesternschaften) vor. Zwischen Bruder und Schwester entsteht eine Geschlechter-Beziehung, die anders als die zwischen Mutter und Sohn oder Vater und Tochter nicht durch die Überlegenheit eines Geschlechtes gekennzeichnet ist. Zugleich ist zwischen Bruder und Schwester die Schranke des Inzest-Tabus weniger hoch. Der sinnliche Anteil der Liebe kann sich eher äußern. Dennoch wird dieses Vorbild einer im Prinzip gleichberechtigten Auseinandersetzung seltener zum Motiv der späteren Liebeswahl als das Muster einer Mutter-Sohn oder einer Vater-Tochter-Beziehung. Für die Entwicklung des Menschen ist wichtig nicht nur, ob er als Einzelkind oder unter Geschwistern aufgewachsen ist, sondern auch seine Stellung in der Geschwister-Reihe. Ein Kind, das nur Schwestern oder nur Brüder gehabt hat, ist in gewisser Weise benachteiligt. Ein Knabe unter Schwestern wird es schwerer haben, ein Selbstverständnis als Mann zu gewinnen; ein Knabe ohne Schwester wird später in seiner Beziehung zum anderen Geschlecht unsicher sein. Umgekehrt ist es beim Mädchen. Ist das erste Kind ein Mädchen, mag es ein Leben lang unter der Enttäuschung der Eltern leiden, die sich einen Knaben gewünscht hatten. Es mag versucht sein, eine männliche Geschlechtsrolle zu spielen. Oft wird das älteste Mädchen in einer größeren Geschwisterschar genötigt, als »zweite Mutter« zu agieren, und das kann eine Hürde werden, wenn es gälte, sich von der Familie zu lösen und einem fremden Manne als Weib zu folgen. Der älteste Sohn scheint als »Stammhalter« oder »Kronprinz« gewisse Vorrechte zu genießen, aber er steht oft auch unter dem Druck der Erwartungen, die der Vater gerade in ihn gesetzt hat. Von ihm wird nicht nur mehr verlangt, sondern er hat auch mehr unter den Rivalitätsgefühlen des Vaters zu leiden. Das jüngste Kind wird oft am zärtlichsten erzo gen, ja als »Nesthäkchen« verwöhnt. Der »Benjamin« wird nicht selten von den älteren Geschwistern beneidet und selbst befeindet, weil ihn nicht mehr die Strenge trifft, die der Vater als jüngerer Mann ihnen gegenüber gezeigt hat. Die Knaben und Mädchen in der Mitte der Geschwisterreihe sind weniger typisch geprägt. Dennoch befinden sie sich in einer besonders prekären Situation, weil sie einerseits nach den Vorrechten des älteren Erstgeborenen streben, andererseits aber das jüngste Kind um die Aufmerksamkeit der Eltern beneiden.

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