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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Geschlechter-Beziehung

Autor
Autor:
Manuela Bartheim-Rixen

ein aus Abhängigkeit, Anziehungskraft, Unsicherheit, Rivalität und Abwehr gemischtes, durchaus ambivalentes Verhältnis. Männlichkeit ließe sich kaum definieren ohne Bezug auf Weiblichkeit, und umgekehrt. An der Zeugung hat zwar der Mann den eigentlichen aktiven Anteil, aber der Beitrag der Frau zur Fortpflanzung ist sehr viel umfangreicher und auffälliger; und das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Die Verbindung des Vaters zu seinem Kinde ist gleichsam unsichtbar, oft auch unerweisbar. In frühen Kulturstufen hatten es die Männer schwer, ihr Recht an den Kindern überhaupt geltend zu machen. Dem Neid auf das auffällige Geschlechtsorgan des Mannes, den man den Frauen nachsagt (Penisneid), könnte man einen Neid der Männer auf die Fähigkeit der Frau, ein lebendes Wesen zu »schaffen«, gegenüberstellen. Der Mann muß erleben, daß alles, was er schaffen kann, seine Geräte, Häuser und Werkstätten, seine Statuen, Bilder, Bücher und Lieder, selbst seine Philosophien und Ideologien, kein Leben gewinnt. Er erfährt, daß die Frau der Natur näher bleibt. Seinen Höhenflügen gegenüber wahrt sie ihren Sinne für die unmittelbare Wirklichkeit. Stärker als er zieht sie die Sicherheit dem Wagnis vor. Meist schätzt sie die Gefühle, die ja auch zur menschlichen Realität gehören, höher als die Ideen. So erlebt er sie einerseits als unterlegen, andererseits aber als lebensnäher. So sehr er sie unter seine Macht zu bringen sucht, sie behält doch einen Einfluß, den er als unüberwindbar empfindet, zumal er ihn nicht genau ausmachen kann. Eine der ersten Frauenrechtlerinnen, die Engländerin Mary Wollstonecraft (t 1797), meinte zwar, diese Macht der Frauen beruhe auf ihrem Fügen in die »eigene Unterjochung«, aber wichtiger ist wohl die Prägung, die nahezu jeder Mann als Kind durch die Mutter erfahren hat. In den Einweihungsriten und der Institution der Männerbündezeigt sich, wie schwierig und wie wichtig es für eine männlich bestimmte Gesellschaft ist, den herangewachsenen Knaben vom Einfluß der Mutter zu lösen, ihn nach der Passivität der Kindheit zu der Aktivität und selbst Aggression zu ermuntern, die vom Manne verlangt wird. Anders als der Knabe, der seine frühesten Liebeserfahrungen bereits in einer Beziehung zum Gegengeschlecht gemacht hat, ist die erste Bindung des Mädchens gleichgeschlechtlich, und erst relativ spät wendet es sich dem Vater als dem ersten Manne zu. Dieser Unterschied der Kindheitsentwicklung hat zur Folge, daß Männer im allgemeinen stärker geprägt sind, Frauen aber prägsamer bleiben. Überhaupt wächst das Mädchen vorwiegend unter dem Einfluß von Frauen auf, während die Erziehung des Knaben und damit auch die Stellung des Jünglings ganz im Spannungsfeld zwischen der äußeren Autorität des Vaters und dem gefühlsmäßigen Einfluß der Mutter steht. Sie ist es, die ein Imago von der Frau überhaupt prägt. Das Imago des Mannes, das sich bei der Frau vom Vater herleitet, bleibt von den früheren Liebesbeziehungen zu einer Frau, der Mutter, unbewußt überschattet. Von einem gewissen Alter an darf sich die Liebe zwischen Tochter und Vater offener ausdrücken als die Liebe zwischen Sohn und Mutter. An der Mutter erlebt der Knabe schon sehr früh (unter dem Inzest-Tabu) die »Unzugänglichkeit« der Frau, aber auch ihre »Untreue« ; denn so schätzt er es ein, daß sie nicht nur ihn, sondern mehr noch den Vater liebt. Vom Sturm der Pubertät an erfahren dann die weitaus meisten Männer, daß es sie sexuell zur Frau drängt, daß sie ohne eine Partnerbeziehung zu ihr keine sexuelle Erfüllung finden können. Viele versuchen zwar, sich von dieser »Hörigkeit« zu befreien, indem sie auf die Homosexualität, die Selbstbefriedigung im Zusammenhang mit der Phantasie, auf eine Perversion oder eine Sublimierung ausweichen ; aber überallhin folgt ihnen doch die heterosexuelle Anlage. Nur in der Paar-Bindung von Mann und Frau scheint das Verschmelzen zu dem einen Wesen möglich zu sein, das alle menschlichen Eigenschaften einschließt. Der Mann nimmt der Frau ihre Unentbehrlichkeit oft genug übel. Gerade in der sexuellen Begegnung erlebt er sie als rätselhaft, weil er ihre geschlechtliche Ausstattung nicht ergründen kann. Sie gemahnt ihn an seinen Kastrationskomplex. Seine Unsicherheit wächst, weil sich die sexuelle Erregung bei der Frau nicht so unübersehbar zeigt wie beim Manne. Weithin kann er nicht wissen, ob er wirklich fähig ist, sie mitzureißen, und ob sie seine Ekstase wirklich teilt, oder ob sie sie nur markiert, wie Dirnen das tun. Erlebt er aber eine Frau als sexuell sehr empfänglich und aktiv, dann fragt er sich, ob er ihr Genüge tun könne oder nicht mit ihrer Untreue rechnen müsse – wie der einer Dirne. Für die Frau steht im Vordergrund eher das Vorrecht, das die Männer in so vieler Beziehung (noch immer) genießen. Wenn sie mit ihnen konkurrieren will, muß sie gewöhnlich mehr leisten als ein Mann in gleicher Lage. Ihrer völligen Gleichberechtigung steht die Bindung an ihre Geschlechtsfunktionen im Wege. Die Emanzipation scheint nur unter Verzicht auf die Mutterschaft erreichbar. In der Welt der äußeren Aktivitäten findet die Frau fast nur männliche Muster, die sie als Konkurrentin nachahmen muß, statt eine »weibliche« Form der Tätigkeit zu entwickeln. Dabei gerät sie in Gefahr, die Verbindung zum Manne zu verlieren, nach der sie doch gerade so verlangt wie der Mann nach der seinen zur Frau. Sie kann ihm nicht mehr die Ergänzung bieten, die er braucht, um Mann zu sein, und sie findet nicht die seine, durch die sie erst ihre Weiblichkeit voll erfährt. Mann und Frau scheinen zwar in den weitaus meisten »Menschlichkeiten« einander gleich zu sein, und doch steht zwischen ihnen ein Unterschied, der alles andere als »klein« ist. Sie sind insoweit entgegengesetzte Pole und geradeso aufeinander bezogen wie die Pole eines elektrischen Stromes.

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