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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Gehirn

Autor
Autor:
Julia Schneider-Ermer

höchste bisher bekannte Organisationsform der Materie, Kommandozentrale des Körpers und Organ des geistig-seelischen Lebens. Das menschliche Hirn zeichnet sich durch die starke Entwicklung des Großhirns aus, dem alle höheren, »menschlichen« Leistungen zu verdanken sind. Darüber hinaus hat man im Hirn einzelne Partien ermittelt, die für ganz bestimmte Funktionen zuständig sind, wie Sprechen, Sehen, Bewegung einzelner Glieder, Sexualität usw. Hieraus haben sich Methoden der Gehirnchirurgie als Mittel zur Behandlung psychischer Störungen entwickelt. Man greift auf diese Weise unter anderem bei Triebverbrechern ein, die sonst immer wieder einem unbeherrschbaren Zwang erliegen, den sie selbst als unerträglich empfinden. Die sogenannte Lobotomie bewirkt eine allgemeine Dämpfung der Triebhaftigkeit, hat anfangs die Operierten zu »Zombies« gemacht, zu »lebenden Toten«, und erst mit verbesserten Methoden gelang es, die Wirkung abzustufen. Die »stereotaktische« Operation, bei der sich der Chirurg mit einer Sonde »im Raum« des Gehirns vortastet, kann das Sexualzentrum auslöschen. Es besteht dabei die Gefahr, daß andere Hirnteile, namentlich der Sehnerv, in Mitleidenschaft gezogen werden. Alle Gehirnoperationen stellen eine gewaltsame Veränderung der Persönlichkeit dar, deren Folgen sich noch nicht absehen lassen. Sie sind sehr umstritten, weil sich hier eine Möglichkeit eröffnet, Menschen nach Belieben »umzuschaffen«. Einige psychologische Schulen gehen so sehr von den Funktionen des körperlichen Apparates der Seele aus, daß sie eigentlich nur als Physiologie anzusehen sind. Freud hat sich auf einen rein psychologischen Standpunkt gestellt. Er sieht zwischen dem Gehirn oder Nervensystem und den Bewußtseinsakten keine direkte Beziehung, »und wenn sie bestünde, würde sie . . . für deren Verständnis nichts leisten«. Er hat deshalb für die Psyche ein Denkmodell entworfen, eine an schauliche Vorstellung der »Regionen des seelischen Apparates«, die sich »nicht auf anatomische Örtlichkeiten« bezieht.Jedem menschlichen Erlebnisinhalt entspricht ein elektrochemischer Vorgang im Gehirn. Wird dieses geschädigt, dann macht sich auch ein Verlust an psychischen Möglichkeiten bemerkbar. So kann durch eine Gehirnblutung bei einem Schlaganfall das Sprachzentrum so geschädigt werden, daß der Betroffene nicht mehr sprechen kann (Aphasie). Manche Menschen mit nicht allzu schweren Schäden können dann das Sprechen wieder erlernen. Das Gehirn ist aus verschiedenen Teilen aufgebaut und mit einem Spazierstock vergleichbar, auf den man einen Hut gelegt hat. Der Stock entspricht dem Rückenmark, der Knauf des Stockes dem Stammhirn, in dem Lebensvorgänge wie Atmung, Kreislauf, Körpertemperatur, Hunger und Durst gesteuert werden, während der Hut dem Großhirn gleicht, in dem Wahrnehmung, Denken und Körperbewegungen ihre Nervengrundlage haben. Viele seelische Vorgänge erfassen dabei das ganze Gehirn (so wird die Wachheit durch ein Zusammenwirken von Stammhirn und Hirnrinde gesteuert). Die Vermutung, daß es für jede Fähigkeit eine genau umgrenzte Hirnstelle gibt, ist nicht richtig. So bestimmt etwa die Aktivität der Großhirnrinde den besonderen Inhalt eines Bewußtseinsvorgangs, während das Aktivierungssystem im Stammhirn lest legt, vor welchem gefühlshaften Erlebnishintergrund er abläuft.

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