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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Schule

Autor
Autor:
Klaus-Dieter Zumbeck

nächst und neben der Familie Geschlechter trennte. Ganz kraß wird die wichtigste Institution zur allmäh diese Entfremdung in Wohnschulen lichen Einordnung des Kindes in die (Internaten), deren Einfluß meist Gesellschaft (Sozialisation). Hier eine langfristige Störung der Gewerden nicht nur Kenntnisse vermit schlechter-Beziehung zur Folge hat. telt, unter ihnen das Lesen und In ihnen fehlt ja auch die Möglichkeit, Schreiben als Voraussetzung einer nach der Auseinandersetzung mit erweiterten Kommunikation, oder Lehrern und Mitschülern immer allgemein die Fähigkeit zum Lernen wieder in die Gefühlswelt der Familie und zum abstrakten Denken geför einzutauchen. fiert. Die Schule stellt auch eine neue, Ganz allgemein führt die Schule das größere Gemeinschaft dar, in der Be Kind stufenweise von der gefühlsbeziehungen zu fremden Menschen ge stimmten und zum Teil spielerischen übt werden. Erfahrung fort zur Zweckhaftigkeit, In gewisser Weise treten die Lehrer zu Leistung und Abstraktion. Diese an die Stelle der Eltern, die Schulka Tendenz hat sich in den letzten Jahren meraden an die Stelle der Geschwister verstärkt. Gefühlsmäßige Bindungen und Nachbarskinder. Die Autorität zu den einzelnen Fachlehrern sind des Lehrers wird umso eher akzep kaum noch möglich. Die Größe der tiert, je mehr sie gleich der des Vaters Klassen und die Fülle des Lehrstoffs Fürsorge und Liebe einzuschließen verführt oder gar zwingt die Lehrer, scheint, und je mehr seine Person ge an alle Schüler die gleichen Maßstäbe stattet, Liebe daran zu heften. Aber anzulegen, statt daß sie jedem nach die liebende Anteilnahme des Lehrers seiner Art gerecht werden und in ei-muß mit viel mehr Konkurrenten ge ner wahren Erziehung die individuelteilt werden als die des Vaters. Was len Fähigkeiten fördern könnten. der Einzelne davon auf sich ziehen Die Bewertung nach Noten (Zensukann, hängt viel stärker von Leistung ren) steigert die Konkurrenz und und Gehorsam ab als gewöhnlich im mindert die gefühlsmäßige BefriediVerhältnis zum Vater. Die Beziehung gung, wie eine Liebesannahme sie zu den Kameraden wird mehr durch gewähren könnte. Daraus ergibt sich diese Rivalität und durch den Kampf der Streß, unter dem jetzt schon Kin-um einen guten Platz in der Gemein der zu leiden haben. schaft bestimmt als in der Familie, in Die allgemeine Schulpflicht bedeutet der die Zugehörigkeit zueinander von nicht, daß alle Kinder die gleiche vornherein und über alle Auseinan Ausbildung zu erwarten hätten. Nedersetzung hinweg gegeben zu sein ben den anlagebedingten Unterschieschien. den der Intelligenz und Lernfähigkeit Der Einschnitt zwischen familiärem spielt es eine wesentliche Rolle, welund schulischem Erleben war noch che geistigen Anregungen ein Kind schärfer, als man in der Schule die vor und während der Schulzeit von seinen Eltern erhält. Sie wieder hängen weitgehend von der sozialen Schicht ab, zu der das Elternhaus gehört. Die Wahl der Schulform wird dadurch vorbestimmt. Die schulische Laufbahn verstärkt noch die Schranken zwischen den Schichten. Kinder, deren schulische Umwelt sich nach Bildungsstand und sozialer Zugehörigkeit stark von der familiären Umwelt unterscheidet, haben es besonders schwer, sich zu orientieren. Viele Eltern aus niedrigeren Schichten zögern, höhere Bildungsmöglichkeiten zu eröffnen, als sie selbst sie hatten, weil sie die Überlegenheit und Kritikfähigkeit der Kinder fürchten. Recht oft stellt sich die Schule den Eltern als Konkurrenz zur häuslichen Erziehung dar, als Einbruch anderer Wertvorstellungen als jener, die sie selbst aufgenommen haben, und als Minderung der Beziehungen, die der Bindung in der Familie zugrunde gelegen haben. Manchmal freilich wird das auch als Erleichterung empfunden, gleichsam als Erlaubnis, sich um das Kind nun weniger zu kümmern. Die Macht, die die Schule dem Lehrer einräumt, setzt auch ihn besonderen psychischen Bedingungen aus. Sie ermöglicht es ihm, seinen »pädagogischen Eros« freizusetzen, das heißt, in seine Erziehung ein hohes Maß an Liebe einfließen zu lassen. Mit ihr wird er freilich versucht sein, jene Schüler zu bevorzugen, die irgendwie seinem eigenen Wesen oder seinem Ich-Ideal entsprechen, oder aber möglichst alle Zöglinge nach seinem eigenen Muster zu modeln. Der An teil an Liebe mag ihn verführen, sie in einer Weise auszudrücken, die deren Herkunft aus der sexuellen Libido offenlegt. Die Autorität seines Amtes bringt aber auch die Gefahr mit sich, zum sturen Besserwisser und zum geistigen Diktator zu werden. Das mag ihn sogar verleiten, die Macht aggressiv auszunützen, zumal selbst im Grunde sadistische Mißhandlungen noch als erzieherische Strafe erscheinen können. Zu den Problemen der Schulzeit gehört die stürmische Entwicklung der Pubertät, die sie umschließt. Sie dehnt sich ja oft sogar bis weit in die Adoleszenz aus. Zu den Aufgaben der Schule gehört es deshalb, sich den Wandlungen anzupassen, die ihre Schüler im Lauf der Entwicklung durchmachen, und diesen Unsicherheiten eine Art Geborgenheit gegenüberzustellen. Es ist offenkundig, daß die Schule über ihren Bildungszielen ihre psychologischen Pflichten weitgehend verkennt und versäumt.In den hochentwickelten Gesellschaften wird die Erziehung vom sechsten oder siebten Lebensjahr an eine Aufgabe des Staates. Ein Kind wird «schulpflichtig». Damit tritt es in den Einflußbereich der Schulen ein, gesellschaftlicher Einrichtungen, welche für die Ausbildung der Angehörigen einer arbeitsteiligen Gesellschaft maßgeblich sind. Die Psychologie befaßt sich mit dieser Situation vor allem unter den folgenden Blickwinkeln: 1. Gesetzmäßigkeiten von Lernen, Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Lernstörungen.

2. Gruppendynamik in der Schulklasse. Die Schulklasse ist die wichtigste Sekundärgruppe im Kindes- und Jugendalter. Da die von den Eltern übermittelten Wertvorstellungen und Normen oft nicht mehr in den Lebensalltag der Kinder passen, findet das Kind beziehungsweise der Jugendliche in den Klassenkameraden Vorbilder, an denen eine Orientierung möglich ist. Zugleich bietet sich der Lehrer als Vorbild an. Ungünstig für die weitere soziale Entwicklung ist es, wenn ein Kind in der Schulklasse zum Außenseiter wird, keine Freunde hat und dadurch mehr als andere den Prägungen durch die Familie ausgesetzt bleibt.

3. Die Schulsituation als Auslöser seelischer Störungen. Hier wirkt es sich ungünstig aus, daß die Schule oft selbstzweckhaft unterrichtet und daher schädliche Verhaltensformen ungeprüft und unkorrigiert von Lehrern auf Schüler übertragen werden. Durch den Vorgang der ** Identifizierung mit dem Angreifer werden aus Schülern Lehrer, die ihre Schüler ebenso behandeln, wie sie selbst seinerzeit von ihren Lehrern behandelt wurden. Als schädlich hat sich ein Unterricht erwiesen, bei dem der Lehrer vor allem auf Fehler achtet und diese tadelt. Dadurch lernen die Schüler, sich vor allem zu bemühen, nichts falsch zu machen: ihre Kreativität wird unterdrückt. Der Leistungsdruck der Schule kann ebenfalls als schädlich angesehen werden: Kinder und lugendliche in ihren oft labilen Entwicklungszuständen werden im Hinblick auf ihre späteren Aufstiegsmöglichkeiten einer von der Ausbildung her nicht gerechtfertigten, unter starkem Druck stattfindenen Auslese unterzogen.

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