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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Geisteskrankheiten

Autor
Autor:
Julia Schneider-Ermer

unscharfer Sammelname für verschiedenartige schwere Störungen des Denkvermögens oder der Psyche. Minderleistungen des Verstandes liegen beim angeborenen Schwachsinn vor, der in seiner leichteren Form Debilität heißt, bei größerem Ausfall Imbezillität, in schweren Fällen Idiotie. Bei Psychosen kann sich eine große Schärfe des Verstandes erhalten haben. Unter ihnen sind Krankheiten, die erblich bedingt (endogen), und andere, die im Leben erworben sind (exogen). Die einen werden meist als organisch angesehen, d. h. man führt sie auf Gehirn und Nervenschädigungen zurück; viele der anderen nennt man funktionell, weil keine solchen Schäden nachweisbar sind. Anders als früher sieht man in den Psychosen heute einen verstehbaren Zusammenhang und unterscheidet sie nicht mehr so grundsätzlich von anderen psychischen Krankheiten wie Hysterie, Neurose und Psychopathie, die nicht zu den »Geisteskrankheiten« gezählt werden.Während bei der Neurose ein Mensch die Wirklichkeit noch richtig wahrnimmt und die eigenen Schwierigkeiten als etwas Unerwünschtes, Fremdes erlebt, kann der Geisteskranke äußere und innere Erfahrung nicht mehr auseinanderhalten. Er glaubt, daß ihn Menschen verfolgen, denen er in Wirklichkeit gleichgültig ist (während sie ihm nicht gleichgültig sind), hört Stimmen, die es nicht gibt, klagt sich eines Verbrechens an, das er offenbar nicht begangen haben kann. Geisteskrankheiten werden häufig auch Psychosen genannt, wobei man endogene und exogene Psychosen unterscheidet. Endogene Psychosen entstehen auf den ersten Blick ohne erkennbare äußere Ursache oder aufgrund einer mangelhaften Bewältigung von Anlässen, die andere Menschen verarbeiten können (zum Beispiel einer Liebesenttäuschung). Exogene Geisteskrankheiten werden durch Gifte (Alkoholismus), Altersabbau, Verletzungen und Entzündungen des Gehirns ausgelöst. Natürliche Vorgänge erklärt man, indem man versucht, «letzte Einheiten» (etwa Atome) zu ermitteln und aus den Gesetzen, denen sie unterliegen, den Aufbau der äußeren Gestalt zu ermitteln. Seelische Vorgänge entziehen sich diesem Vorgehen, wenn man sein Augenmerk auf die ganzheitlichen, geistigen Vorgänge richtet. Eine Idee, eine geschichtliche Persönlichkeit, eine Liebesbeziehung lassen sich nicht in «letzte Einheiten» zergliedern. Bei der Beschränkung auf die reine Verhaltensanalyse (Behaviorismus) ist das eher möglich. Psychologen, die an geschichtlichen Ereignissen und den durch Selbstbeobachtung eröffneten Möglichkeiten der Einfühlung interessiert waren, haben die «geisteswissenschaftliche» Psychologie begründet, als deren besondere Verfahren das Verstehen, Nacherleben, die genaue Erlebnisbeschrcibung (Phänomenologie) und die Deutung angesehen werden können. Die frühere Feindschaft und gegenseitige Geringschätzung der «geisteswissenschaftlichen» und «naturwissenschaftlichen» Richtung der Psychologie macht heute gelegentlich der Einsicht Platz, daß es sich bei beiden um Aspekte des Forschungsgegenstandes handelt, die sich sehr wohl auch gegenseitig ergänzen können.

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