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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Menschenkenntnis

Autor
Autor:
Katharina Weinberger

traut sich fast jeder zu, aber was man so nennt, ist oft mehr von Vorurteil oder einem Denken in Klischeesbestimmt als von einer »praktischen Psychologie«. Da meint man, jeder Italiener sei lustig und faul, jeder Franzose leichtfertig, jeder Deutsche ein »Kommißkopp«. Männer mit langen Nasen sollen über eine große Potenz verfügen, rothaarige Frauen sollen sehr sinnlich sein, und Buckligen traut man einen »krummen« Charakter zu. Oft läßt man sich von bewußt nicht erkannten Ähnlichkeiten mit einem anderen Menschen täuschen, der einem sym pathisch oder unsympathisch war (vgl. Übertragung). Der erste Eindruck, den man gewöhnlich für entscheidend hält, und über den in der Tat viele nie hinauskommen, ist von Äußerlichkeiten wie Kleidung, Körperbau, Gesten, Physiognomie usw. bestimmt. Wirklich vermitteln solche Anzeichen gewisse Informationen, und einige davon werden auch in der wissenschaftlichen Psychologie systematisch verwandt, so in einer Typologie. Doch besagt kein einzelnes Zeichen etwas Entscheidendes; ein jedes muß im Zusammenhang mit vielen anderen gesehen und gedeutet werden. Man darf sich nicht verleiten lassen, einige Zeichen, die man von anderen kennt, zu dem Imago, dem Vorstellungsbild, zu ergänzen, das sich aus der (täuschenden) Erinnerung an diese anderen ergeben hat. Eine wirkliche Menschenkenntnis erwirbt man nur auf Grund vielfältiger Erfahrung und dank der Bereitschaft, einem jeden unbefangen neu zu begegnen. Diese Unbefangenheit kann nur aus der Kontrolle der eigenen Neigungen und Erwartungen stammen, mit anderen Worten: aus der Selbsterkenntnis. Ein tieferes Verständnis ist jedoch erst dann zu erreichen, wenn man außer dem Verhalten eines Mitmenschen auch dessen Antriebe kennt, seine frühen Erfahrungen, seine geheimen Wünsche und Ängste. Den Zugang ins Unbewußte eröffnet nur die Tiefenpsychologie. Doch nicht einmal der wissenschaftliche Psychologe ist immer ein guter Menschenkenner: Freud, der »die Menschen« besser erkannt hat als irgendjemand vor ihm, hat sich in seinem privaten Umgang mehrfach von seinen gefühlsmäßigen Erwartungen schwer täuschen lassen.

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