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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Orgie

Autor
Autor:
Klaus-Dieter Zumbeck

ausschweifendes Fest in einer größeren Gruppe, die sich manchmal nur zu diesem Zweck gebildet hat. Zur Orgie gehört oft die Schlemmerei, der Genuß berauschender Getränke, auch Musik und Tanz. Ihr eigentliches Ziel ist die Befreiung sexueller Wünsche von den Schranken der Moral, des Alltags, der Ehe und der personalen Liebe. In vielen Kulturen gehört die Orgie zum Geflecht der Sitten; sie wurde als Entlastungssitte gefeiert. Sie ist aber stets an eine Orgiengemeinschaft gebunden; nur in der Gruppe ist die Übertretung der sonst üblichen Verbote erlaubt. Die Orgie war einst religiös überhöht, wurde als Ritual zu Ehren und zur Beschwörung der Fruchtbarkeitsgötter verstanden. Reste dieser Auffassung haben sich im Karneval (Fasching) erhalten. Die Orgien des modernen »Gruppen-Sex« werden als Proteste gegen eine konformistische Moral und als Bekundungen der Freiheit in einer Gemeinschaft von »Eingeweihten« und »Auserlesenen« proklamiert. In der Orgie überwindet man die Scham, entkleidet sich voreinander und gibt so seinen Voyeurismus wie Exhibitionismus frei. Die Paar-Be ziehungen werden aufgelöst und immer neue flüchtige Kontakte hergestellt. In der allgemeinen Vermischung wird zugleich die Grenze zwischen Heterosexualität und Homosexualität eingeebnet. Die Geschlechtsvereinigung wird weitgehend durch andere Ausdrucksformen der Sexualität ersetzt. Es ist geradezu der Sinn der Orgie, alle Schranken niederzureißen. Da in ihr alles »ausgelassen« wird, folgt ihr meist ein Gefühl der Leere oder des Überdrusses. Paar, die enge Beziehung zweier Menschen, die so gewissermaßen zu einer höheren Einheit verschmelzen. Der Einzelne findet keine Antwort auf seine Fragen, erlebt keine Reaktion auf seine Initiative und auch keine menschliche Aktion, auf die er reagieren könnte. In der Beziehung zur Gruppe muß der Einzelne seine Gefühle teilen, und die verschiedensten Strömungen von den vielen Gruppengenossen wirken zugleich auf ihn ein. Das kann ihn verwirren, oder aber die Vielzahl der Beziehungen setzt sie sozusagen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner herab, so-daß die persönlichen Eigenarten verschwimmen. Nur in der Paarbeziehung sind alle Regungen des einen auf den anderen bezogen. So kann hier das zwischenmenschliche Verhältnis die höchste Intensität erreichen. Die Erfahrung dieser Art von Ergänzung spiegelt sich in dem Mythos, daß der Mensch ursprünglich ein doppelgeschlechtliches Wesen, ein Hermaphrodit war, das von den Göttern in zwei Hälften auseinandergeschnitten worden ist, die sich seitdem suchen müssen, um sich wieder zu vereinigen. Vermutlich stammt dieser Gedanke aus der Urerfahrung, die das kleine Kind in seiner Symbiose mit der Mutter gemacht hat, aus der innigsten Beziehung überhaupt, die das Muster aller Geborgenheit darstellt. Paarbeziehungen zwischen Menschen des gleichen Geschlechtes scheinen für jeden von ihnen etwas vom eigenen Wesen widerzuspiegeln und zu verstärken. Das gilt zwischen Vater und Sohn, zwischen Mutter und Tochter, zwischen Freunden, in der homosexuellen Liebe. Am stärksten mag dieses Gefühl der Identität und der gegenseitigen Identifikation zwischen eineiigen Zwillingen sein. Ihr Verhältnis nähert sich bereits der Beziehung des Menschen zu seinem eigenen Spiegelbild und damit dem Narzißmus. In dem Maße freilich, in dem eine Paarbeziehung zur Selbstbestätigung wird, vermindert sich die Möglichkeit zur Auseinandersetzung und zur Ergänzung. Erst zwischen Mann und Frau ist in der Paar-Einheit die Überbrückung aller Gegensätze in deren Zusammenklang möglich. Es ist, als sei schon die sexuelle Ausstattung der Geschlechter dazu entworfen, daß sie auch körperlich »ineinander passen«, sodaß sich der Stromkreis schließen kann. Das innig verbundene Paar braucht keinen anderen, nicht einmal das Kind. Ja, jeder dritte könnte nur stören. Und doch hat man diese Einheit zwar als Ideal gepriesen, sie in Wirklichkeit aber eher behindert als gefördert. Die Sagen von leidenschaftlicher Paarliebe enden meist mit dem Tod; so bei Tristan und Isolde, so bei Romeo und Julia, so noch in der »Love Story«. Nur für Philemon und Baucis, das alte Ehepaar, das seine sozialen Pflichten bereits erfüllt hatte, erfand der Mythos einen glücklichen Ausgang – und auch das erst im gemeinsamen friedlichen Ende. Die Gesellschaftwill nicht das Paar, sondern die Familie oder die Gruppe.

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