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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Selbstkommunikation

Autor
Autor:
Anneliese Widmann-Kramer

auch: intrapersonelle Kommunikation, bezeichnet zumeist unwillkürlich auftretende Bewußtseinsinhalte, die Erwachsene überwiegend nicht laut denken und Kinder häufiger laut zu sich selbst äußern. Sie betreffen vor allem die eigene Person oder andere Menschen, die zur eigenen Person in bedeutungsvoller Beziehung stehen, und haben persönliche Erwartungen, Befürchtungen, Bewertungen, Selbstanweisungen sowie seelisch-körperliche Gefühle bzw. Befindlichkeiten zum Inhalt.

Die Selbstkommunikation ist eng verbunden mit den Begriffen Denken bzw. Gedanken und den unklaren Definitionen der Kognitionen. Neben der Bezeichnung Selbstkommunikation werden noch Synonyme, wie z.B. inneres Sprechen, innerer (interner) Dialog, innere Kommunikation, automatische Gedanken o.ä. verwendet. Im Amerikanischen findet sich eine Reihe ähnlicher Bezeichnungen: automatic thoughts, self-talk, interpersonal communication, internal dialogue, self-statements, internal sentences, self-referent speech, automatic cognition, covert verbalisation, self-verbalization, private monologue, intrapersonal self-instructions etc. In der Rational-emotiven Therapie sowie bei verschiedenen Vertretern der kognitiven Verhaltenstherapie wird der Selbstkommunikation eine zentrale Bedeutung für die Entstehung, Aufrechterhaltung und Veränderbarkeit von seelischen Störungen beigemessen und deren pathologische Formen betont, die in den folgenden Begriffen ihren Ausdruck finden: cognitive distortion, cognitive errors, negative self-statement, negative thoughts, irrational ideas or ideation, irrational beliefs, unrealistic beliefs, dysfunctional beliefs, irrational cognitions, maladaptive cognitions, irrational thinking, faulty thinking, illogical cognitions, dysfunctional thoughts etc. Als deutschsprachige Übersetzungen werden häufig verwendet: irrationale Überzeugungen bzw. Gedanken oder Ideen, einseitiges Denken, negative Gedanken, kognitive oder gedankliche Verzerrungen, dysfunktionale Gedanken, dichotomes Denken u.a. Eine Sonderstellung nimmt schließlich die Selbstkommunikation bei Kindern ein, die bei jüngeren häufig unverdeckt ist und nach Auffassung der Entwicklungspsychologie vor allem der Selbstinstruktion, Selbstkontrolle oder allgemein dem “Sprechdenken” dient.

Zur Erfassung von Gedanken, Vorstellungen und Selbstaussagen gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, wie: Erkennungsmethoden (z.B. Fragebogen nach experimenteller Situation), Abrufmethoden (Rückerinnern z.B. in Form des “thought listing”), projektive Verfahren (Gedankenäußerungen zu vorgegebenen Bildern oder Vignetten), expressive Methoden (unmittelbare Selbstbeobachtungstechniken zu einer realen oder vorgestellten Situation) und naturalistische Verfahren (Erfassung von unverdeckt auftretenden Selbstäußerungen z.B. bei Kindern). Hinsichtlich der Erhebungsverfahren werden im wesentlichen Aufzeichnungsmethoden (Audio- bzw. Videomitschnitte), Selbstbeobachtungstechniken (unterschiedliche Gedankenproduktionsmethoden) und schriftlichen Befragungen (Tests mit zumeist vorgegebenen Selbstäußerungen) verwendet.

Testdiagnostische Untersuchungen mit dem Hamburger Kognitionsinventar (HAKI; Tönnies, 1997) zeigen, daß die Selbstkommunikation voneinander unabhängige positive und negative Anteile hat. Die negative Selbstkommunikation geht mit seelisch-körperlichen und psychosozialen Beeinträchtigungen einher, insbesondere mit Nervosität, Depressivität, Gehemmtheit und emotionaler Labilität als Ausdruck psychoneurotischer Gestörtheit und mit allgemeiner Angst; außerdem mit psychosomatischen Befindlichkeitsstörungen, die in einer erhöhten Klagsamkeit, körperlichen Beschwerden, Beanspruchung und Erschöpfung ihren Ausdruck finden. Die negative Selbstkommunikation steht außerdem mit einer entsprechend verminderten seelischen Gesundheit in Zusammenhang, was sich in einer eingeschränkten Autonomie, Willensstärke und Lebenszufriedenheit ausdrückt. Sie korreliert ferner mit einem mangelnden Selbstkonzept, insbesondere mit geringerer Leistungsfähigkeit, Problembewältigung sowie Verhaltens- und Entscheidungssicherheit. Schließlich gehen emotionale und soziale Aspekte der Einsamkeit und die Unfähigkeit zum Alleinsein mit einer verstärkten negativen Selbstkommunikation einher. Korrelationsstudien zur positiven Selbstkommunikation zeigen dagegen nur wenige und zumeist geringe Zusammenhänge mit Persönlichkeits- und Befindlichkeitsmerkmalen. Sie steht vor allem mit einer lebensbejahenden Einstellung sowie mit einem extravertierten und offenen Sozialverhalten im Zusammenhang. Ferner finden sich niedrige Korrelationen zu geringer Depressivität und Angst (Depression, Angst).

Bei Gesunden überwiegt die positive gegenüber der negativen Selbstkommunikation. Bei psychoneurotisch Beeinträchtigten, Depressiven und anderen psychiatrisch Erkrankten dominiert dagegen die negative gegenüber der positiven Selbstkommunikation. Bei psychosomatischen Patienten finden sich Hinweise für einen inneren Konfliktdialog, und ihre reduzierte Selbstkommunikation weist auf ein alexithymes Persönlichkeitsmerkmal hin (Psychosomatik).

Infolge von Psychotherapie findet bei Patienten mit unterschiedlichen psychischen und psychosomatischen Erkrankungen eine Normalisierung der gestörten Selbstkommunikation statt (Tönnies, 1994), wobei die Änderungen im Bereich der negativen Selbstkommunikation ausgeprägter als in den positiven Anteilen sind. Dabei sind die Änderungen der Selbstkommunikation bzw. dysfunktionalen Kognitionen und irrationalen Überzeugungen nicht therapiespezifisch. Verschiedene Untersuchungen zur Rational-emotiven Therapie und insbesondere zur kognitiven Therapie nach Beck (1976) zeigen deutliche Änderungen der irrationalen Überzeugungen bzw. dysfunktionalen Kognitionen. Andererseits machen klientenzentrierte einzel- und gruppenpsychotherapeutische Befunde deutlich, daß auch diese nicht-kognitiv orientierte Intervention signifikante Effekte auf Kognitionen bzw. ihre Selbstkommunikation hat. Zudem zeigen Vergleichsstudien zu kognitiven und anderen Interventionen, daß Besserungen der beeinträchtigten Kognitionen von Depressiven auch infolge klassischer Verhaltenstherapie oder Pharmakotherapie und bei Schmerzpatienten ebenfalls durch Entspannungstraining eintreten. Die konstruktiven Änderungen der Selbstkommunikation sind demnach vor allem Ausdruck von Besserungen der seelisch-körperlichen Befindlichkeit und allgemeiner Hinweis für den Therapieerfolg.

Untersuchungen zu mentalen Entspannungsverfahren (Tönnies, 1977) zeigen, daß auch bei Personen mit nicht gravierenden seelischen Beeinträchtigungen eine normale Selbstkommunikation verbessert werden kann, indem sie bei regelmäßiger Durchführung zu einer weiteren Verringerung negativer und verstärkter positiver Selbstverbalisation führen, die auch längerfristig anhält. Als Folge lassen sich konstruktive Änderungen u.a. in Merkmalen psychoneurotischer und psychosomatischer Beeinträchtigung, der situativen Befindlichkeit und Aspekten seelischer Gesundheit nachweisen. In Anlehnung an Meichenbaum (1977) wurden daher Wirkprinzipien der kognitiven Therapie in Verbindung mit Entspannungs- und Suggestionsverfahren auf die Selbstmodifikation der intrapersonellen Kommunikation in Form des Mentalen Trainings (Tönnies, 1998) zur Förderung der geistig-seelischen Fitneß übertragen.

Literatur

Beck, A.T. (1976). Cognitive therapy and emotional disorders. New York: International Universities Press.

Meichenbaum, D. (1977). Cognitive-Behavioral Modifikation. New York: Plenum Press.

Tönnies, S. (1994). Selbstkommunikation. Empirische Befunde zu Diagnostik und Therapie. Heidelberg: Asanger.

Tönnies, S. (1997). Hamburger Kognitionsinventar. Göttingen: Beltz Test.

Tönnies, S. (1998). Mentales Training für die geistig-seelische Fitneß. Heidelberg: Asanger.


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