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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Informationsverarbeitung

Autor
Autor:
Werner Eberlein

beinhaltet basale Gedächtnisprozesse bzw. kognitive Operationen und Strategien, die die Encodierung (Einprägen), das Speichern (Behalten) und den Abruf (Erinnern, Wiedergabe) von Information beeinflussen (Gedächtnis).

1) Encodierung ist die initiale Phase der Informationsverarbeitung. Es handelt sich dabei um einen mehrstufigen Prozeß, in dem die einem physikalischen Trägerprozeß (z.B. Licht- oder Schallwellen) aufgeprägte Information (z.B. Frequenz- oder Amplitudenmodulationen) in einen neuronalen Code übersetzt wird, den das Zentralnervensystem entschlüsseln und weiterverarbeiten kann. Läßt sich die Information bestehenden Gedächtniszuständen zuordnen, findet Bedeutungserkennung statt. Der Ansatz der Verarbeitungstiefe bzw. der Verarbeitungsebenen (levels of processing) besagt, daß wahrgenommene Stimuli durch verschiedene Encodierungsoperationen verarbeitet werden. Die Analyse verläuft von der "oberflächlichen" physikalischen Beschaffenheit eines Reizes über die phonemische Struktur bis zur "tiefen" semantischen Analyse der Bedeutung. Die Verarbeitungstiefe wird von den Intentionen des Individuums, der Reizspezifik und der verfügbaren Zeit bestimmt. Der kognitive Aufwand steigt mit der Verarbeitungstiefe an. Das Erinnern verbessert sich mit zunehmender Verarbeitungstiefe. Der theoretische Erklärungswert des Ansatzes ist allerdings umstritten. Erstens erscheint eine strikte Hierarchie von Verarbeitungsebenen fragwürdig: Strukturelle und semantische Aspekte eines Reizes werden z.T. parallel verarbeitet. Zweitens ist es schwierig, die Verarbeitungstiefe unabhängig vom Ergebnis (der Erinnerungsleistung) zu messen, und drittens ist die Erinnerungsleistung auch abhängig von der Ähnlichkeit der Prozesse beim Encodieren und beim Abruf (transfer appropriate processing). Folglich wird die Nützlichkeit spezifischer Encodieroperationen durch die Zielstellung beim späteren Abruf mitbedingt. Unbestritten ist jedoch der Befund, daß eine elaborative Encodierung der dargebotenen Information (elaborative rehearsal) eine bessere Wiedergabe der Information ermöglicht als das erhaltende Wiederholen (maintenance rehearsal). Elaboration bezeichnet den Prozeß der Strukturierung von Information, z.B. durch Bezugsetzung zum Vorwissen (Chunkbildung, kategoriale oder ereignisgebundene Organisation, Mnemotechniken), Erzeugung von Vorstellungsbildern und Inferenzen, Nutzung von Kontextmerkmalen. Der Effekt besteht in einer reichhaltigen, multiplen Encodierung der Information. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit der Übertragung ins Langzeitgedächtnis. Die beim Encodieren angewandten Organisationsprinzipen lassen sich auch zur Steuerung des Abrufes nutzen. Die Abrufalternativen nehmen zu.

2) Speicherung bezeichnet das Behalten der Information über die Zeit hinweg, d.h. die Etablierung dauerhafter mentaler Repräsentationen (Konsolidierung, Ablagerung). Auf ihre Existenz wird aus Verhaltensdaten geschlossen, z.B. aus der Fähigkeit zur Wiedergabe (recall) von Information. Scheitert die Wiedergabe, spricht man von Vergessen. Es ist bislang offen, ob tatsächlich Vergessen gespeicherter Information stattfindet (im Sinne von Löschung bzw. zunehmendem Verblassen oder Zerfall von Gedächtnisspuren) oder ob eine temporäre bzw. permanente Störung des Abrufs der gespeicherten Information vorliegt. Als potentielle Quellen von Vergessen gelten u.a. die Dauer des Zeitintervalls zwischen Wissenserwerb und -abruf, Interferenzen durch zuvor erworbenes (proaktive Interferenz) oder durch nachfolgend erworbenes Wissen (retroaktive Interferenz), Veränderungen des externen oder internen Kontextes zwischen Lern- und Testsituation bzw. Traumata, die zu amnestischen Störungen führen (Amnesie).

3) Der Abruf von Information bezeichnet den Prozeß der Extraktion gespeicherter Information. Patienten mit retrograder Amnesie zeigen oft eine allmähliche Rückkehr des Gedächtnisses für länger zurückliegende Ereignisse. Folglich war die Gedächtnisspur nicht zerstört, sondern durch spezifische Abrufprobleme nicht zugänglich. Der Abruf von gespeicherter Information kann automatisch oder kontrolliert, d.h. durch intentional gesteuerte kognitive Prozesse erfolgen. Dabei treten i.a. (re-) konstruktive Effekte (Inferenzen) auf. Basale Gedächtnisprozesse werden z.B. durch direkte und indirekte Gedächtnistests geprüft. Wiedererkennen (recognition) und Erinnern (free bzw. cued recall) zählen zu den oft benutzten direkten Tests, die auf der bewußten Suche und Erinnerung vergangener Ereignisse basieren (explizites Gedächtnis). Indirekte Tests verlangen keinen bewußten Bezug auf zuvor dargebotene Information, zeigen aber dennoch positive Einflüsse dieser Information auf Gedächtnisleistungen (implizites Gedächtnis). Dazu zählen z.B. die Wortstammergänzung bzw. verschiedene Priming-Verfahren (repetition priming). Abrufhilfen (retrieval cues), d.h. kontextgebundene Hinweisreize, die gemeinsam mit der kritischen Information encodiert wurden (encoding specificity principle), fördern den Abruf. Neben dem externen Kontext (räumlich-zeitliche Faktoren beim Encodieren, semantische Relationen zwischen Lernitems) ist der interne Kontext (Emotionen, Stimmungen) relevant. Untersuchungen zum Einfluß affektiver Faktoren auf Gedächtnisleistungen sind in den letzten Jahren zahlreich durchgeführt worden (state-dependent memory), haben jedoch zu widersprüchlichen Befunden geführt. Bislang gibt es kein Modell, das die Interaktion zwischen Emotion und Gedächtnis widerspruchsfrei erklärt.


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