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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

sexuelle Funktionsstörungen

Autor
Autor:
Klaus-Dieter Zumbeck

die häufigsten Beeinträchtigungen der menschlichen Sexualität. Es wird vermutet, daß zumindest temporär 1/3 bis die Hälfte aller Menschen von sexuellen Funktionsstörungen betroffen sind. Persistierende sexuelle Funktionsstörungen werden in der Durchschnittsbevölkerung mit einer Prävalenzrate von ca. 10% beziffert; in klinischen Populationen (d.h. Personen mit körperlichen und/oder psychischen Störungen) werden die Anteile sexueller Funktionsstörungen auf bis zu 50% geschätzt. Allgemein – so die ICD-10 – verhindern sexuelle Funktionsstörungen die von der betroffenen Person gewünschten sexuellen Beziehungen durch einen Mangel an sexuellem Verlangen oder Befriedigung, den Ausfall der für die Aktivität notwendigen physiologischen Reaktionen (z.B. Erektion) oder eine Unfähigkeit, den Orgasmus zu steuern oder zu erleben.

Folgende Störungen werden unter dem Oberbegriff subsumiert: Mangel oder Verlust von sexuellem Verlangen (Lustlosigkeit), sexuelle Aversion und mangelnde sexuelle Befriedigung, Versagen genitaler Reaktionen, Orgasmusstörungen, vorzeitige Ejakulation, Vaginismus (Scheidenkrampf), Dyspareunie (schmerzhafter Verkehr). Am häufigsten sind nach klinischen Statistiken Störungen, die mit einem Ausfall der genitalen Reaktionen einhergehen. In jüngster Zeit wird von einer deutlichen Zunahme der Lustlosigkeit als klinisches Präsentiersymptom insbesondere bei Frauen berichtet.

In der Ätiologie sexueller Funktionsstörungen spielen körperliche Faktoren eine Rolle, wenngleich diese gerade in den letzten Jahren etwas überschätzt wurden. Wichtige körperliche Ursachen sind diverse internistische Erkrankungen (Diabetes, Herzinfarkt), hormonelle Störungen, genitale Mißbildungen und Traumen, spezielle gynäkologische (z.B. Endometriose) und urologische (Prostatakarzinom) Erkrankungen, Rückenmarksverletzungen, affektive Störungen, Alkohol, Medikamente. Psychische Ursachen werden heute zu Recht differenziert in individuelle und partnerbezogene, wobei generell davon ausgegangen wird, daß sexuelle Funktionsstörungen Ausdruck von Konflikten sind. Auch Lerndefizite und sexuelle Mythen tragen zur Entwicklung der Störungen bei, die häufig durch Lernprozesse und -mechanismen (v.a. Selbstverstärkung) aufrechterhalten werden. In Anlehnung an die ursprüngliche Auffassung der Psychoanalyse, wonach sexuelle Funktionsstörungen als Hemmung zu verstehen sind, mit deren Hilfe Ängste vermieden werden können, vermutet man heute noch, daß sie der Abwehr von Ängsten dienen. Diese Ängste können sich auf spezifische Regungen und Emotionen beziehen, auf die Selbstsicherheit, Identität, sexuelle Tabus, Befürchtungen im Zusammenhang mit Beziehungen (z.B. Ich-Auflösung, Selbstaufgabe). Die Bedeutung sexueller Funktionsstörungen in Paarbeziehungen zeigt sich meist im Hinblick auf offene oder verdeckte Paarkonflikte. Von Arentewicz und Schmidt (1993) wurden folgende partnerdynamische Prozesse beobachtet, die sexuelle Störungen aufrechterhalten können: Delegation (der Beeinträchtigung an den Partner), Arrangement (Störung dient der gemeinsamen Angstabwehr), Wendung gegen den Partner (Störung dient dem Ausdruck von Aggression) sowie Ambivalenzmanagement (Störung reguliert erträgliches Maß an Nähe/Distanz).

Für die Behandlung liegen sowohl in der Medizin wie in der Psychotherapie verschiedene Konzepte vor. Organisch bedingte Störungen werden häufig medikamentös behandelt, speziell bei Erektionsstörungen werden auch operative Eingriffe (z.B. Penisprothesen) und sexuelle Hilfsmittel eingesetzt. Die psychotherapeutische Behandlung setzt nach Möglichkeit die ätiologische Auffassung der Bedeutung individueller und partnerbezogener Konflikte um, indem paartherapeutische Behandlungskonzepte indiziert werden (Sexualtherapie). Auch Einzel- und Gruppentherapien mit unterschiedlichen Schwerpunkten (z.B. Angstabbau, Kommunikationstraining) haben sich bewährt. Insgesamt gesehen sind die Behandlungseffekte verhaltensorientierter und integrativer Therapien gut dokumentiert und nachgewiesen.

Literatur

Arentewicz, G. & Schmidt, G. (1993). Sexuell gestörte Beziehungen. Stuttgart: Enke.


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