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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Magie

Autor
Autor:
Manuela Bartheim-Rixen

ist der Versuch, das Schicksal und die Umwelt auf rein seelischem Wege zu beeinflussen. Man will das Wetter, die Fruchtbarkeit, die Tiere, die Krankheit oder die Mitmenschen »beschwören«. Man sieht in allem um sich her Wesen, die ähnlich beschaffen sind wie der Mensch (Animismus). Deshalb glaubt man, sie so lenken zu können wie seinesgleichen, durch Bitten und Drohungen, durch Geschenke und Opfer. Auf diese Weise setzt man die Welt um sich her der eigenen, seelischen Innenwelt gleich. Die inneren Vorgänge werden in die Außenwelt hineingesehen (projiziert); die Außenwelt wird gleichsam in die Seele hineingenommen (introjiziert). Es wird eine Beziehung hergestellt, die der Auffassung des kleinen Kindes ähnelt, das sein Ich noch nicht sicher von der äußeren Realität unterscheiden kann. Zugleich spielt die frühkindliche Erfahrung mit, daß die für die Befriedigung der dringenden Bedürfnisse entscheidenden äußeren Mächte, zum Beispiel die Mutter, durch bestimmte Handlungen, zum Beispiel durch Schreien, zur Erfüllung der eigenen Wünsche veranlaßt werden können. Auch bei der Magie geht es darum, Unlust zu beseitigen und Lust zu erreichen. Die Außenwelt wird so gedeutet, als ließe sie sich den eigenen Wünschen gemäß verändern; das Lustprinzip führt zum Wunschdenken. Man sieht noch nicht ein, daß man die Realität erst nach ihrem eigenen Gesetz erkennen muß, ehe man sie durch aktiven Eingriff verändern kann, wie das auf dem Wege der Wissenschaft und Technik geschieht. In diesem Sinne ist die Magie eine Art Vorläufer der Technik. Doch auch in der Magie geschieht tatsächlich etwas, nur eben nicht in der Außenwelt, sondern innerhalb der Psyche. Die Magie beruht auf dem Eindruck, daß alles eins ist und der Mensch in unmittelbarer Beziehung zu allem um sich her steht. Daraus folgt der Glaube, daß eine Handlung, die der Mensch für sich vollzieht, über seinen Bereich hinaus fortwirkt, etwa wie sich eine Welle ausbreitet. Deshalb spielt die imitative (nachahmende) Magie eine so große Rolle. Der Regenmacher gießt tatsächlich Wasser auf die Felder, in der Hoffnung, ein Regengott werde sich so bewegen lassen, es ihm nachzutun. Von einem Menschen, dem man schaden will, wird eine Puppe geformt; wenn man diesem Abbild etwas antut, zum Beispiel es mit Nadeln durchbohrt, will man damit ein ähnliches Leiden auf die wirkliche Person lenken. Tiere, die man erlegen will, oder deren Fruchtbarkeit man anregen will, werden beschworen, indem man ihre Bilder schafft (vgl. Bildende Kunst), oder indem man sie mit Masken und in Tänzen nachahmt. Man erhofft sich eine Art Fernwirkung, die mit der Hypnose, der Suggestion oder auch der Telepathie (vgl. Parapsychologie) verglichen werden kann. Doch diese Erscheinungen, die noch heute vielfach als magisch empfunden werden, beruhen auf einer zwischenmenschlichen Beeinflussung, während die Magie auch auf die außermenschliche und die seelenlose Welt einwirken soll. Nun hätte man gewiß die »Technik« der Magie nicht lange fortgesetzt, wenn sie ohne Erfolg geblieben wäre. Jemand, der ein Abbild seines Feindes mißhandelt, lebt damit einen Teil seines Hasses aus; er erlebt also eine Art Befriedigung und gewinnt eine Ruhe zurück. Die Jäger, die ihre Pfeile beschworen haben, verschafften sich eine Siegessicherheit, kraft der sie mehr Beute machen konnten als ohne den Glauben an ihre Magie. Der Medizinmann hat zwar nicht die körperlichen Ursachen einer Krankheit beseitigen können, aber er hat die seelische Einstellung des Patienten geändert und ihm so zu einer teilweisen Überwindung des Leidens verholfen. Ganz ähnlich geschieht es heute in einer Psychotherapie bei den psychosomatischen Krankheiten. Selbst wenn der Regen ausblieb, der mit einem magischen Ritual herbei-gezwungen werden sollte, muß man sich mit den Gedanken getröstet haben, daß man alles getan hat, was man tun kann. Man hatte sich in eine Einstellung versetzt, in der das Unabän derliche besser zu ertragen war, etwa in dem Sinne des Satzes: »Gottes Wege sind unerforschlich.« Diese Konsequenz gewann die Oberhand in den Hochreligionen, in denen man jedoch auf Mittel der Beeinflussung Gottes und auf magische Handlungen nie ganz verzichtet hat. Der Glaube des Einzelnen an den Erfolg magischer Verrichtungen würde meist nicht weit tragen. Die Wirkung der Magie ist weitgehend abhängig vom Ritual in einer Glaubensgemeinschaft. Erst in einer vereinten Anstrengung, die Dämonen abzuschrecken oder zu gewinnen, fühlt man sich ihrer Macht gewachsen. Erst in der Gemeinsamkeit des Erlebens ist die seelische Wirkung stark genug. Indem der Einzelne den Glauben seiner nahen Mitmenschen teilt, sichert er sich zugleich ihre Sympathie und ihren Schutz. Daß alle das gleiche glauben wie er selbst, gilt ihm als Wahrheitsbeweis. Wenn jemand ein Tabu bricht, wird er dafür wie von einer überirdischen Macht bestraft, aber nicht kraft des Zaubers, mit dem es belegt worden wäre, sondern weil der Glaube durch das Beispiel der anderen in ihm eingepflanzt worden ist, sodaß sein Schuldgefühl wegen der Übertretung für die Bestrafung sorgt. Es sind unbewußte Regungen, die ihn leiten. Deshalb ist die Psychoanalyse die einzige Wissenschaft, die Magie erklären kann. Eine besondere Bedeutung hat der Magier als Person. Man sieht in ihm einen Führer, der stark genug ist, sich den überirdischen Mächten zu stel len, und der im Umgang mit ihnen selbst magische Kräfte erworben hat. Er strahlt Charisma aus. Seine Kraft beruht letzten Endes auf dem Zugang zu den eigenen unbewußten Kräften, und auf der Fähigkeit, in den anderen die entsprechenden Kräfte zu wecken. Oft traute man Frauen eher eine Beziehung zu diesen Gefühlsmächten zu. Das wirkt sich noch auf den Glauben an Hexen aus, die man freilich verdächtigte, eher »schwarze« als »weiße« Magie zu betreiben, das heißt, die bösen statt der guten Geister zu beschwören. Aber auch die Teufel, mit denen sie Umgang gehabt haben sollen, waren innerseelische Kräfte, und die Wirkung, die sie mit ihrem Zauber erzielten, beruhten auf unbewußter Kommunikation.Auffassung natürlicher Vorgänge, bei der unerwiesene Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge als erwiesen angenommen werden (etwa: der Tod eines Mannes nach einem Schlangenbiß beruht darauf, daß ein Zauberer die Schlange geschickt hat). Die Magie geht von einer «Allmacht der Gedanken» (S. Freud) aus, die sich auch in manchen Neurosen (Zwangsneurose) findet. Man hat versucht, in ihr eine urtümliche Form des Denkens zu sehen, die auf Fehlanwendungen von Assoziations-Gesetzen und mangelnder Unterscheidungsfähigkeit (zum Beispiel zwischen dem ausgefallenen Haar eines Menschen, das ein Zauberer verbrennt, und dem Körper dieses Menschen selbst) beruht. Doch sind die Menschen in den Primitivkulturen, die an Magic glauben, in anderen Lebensbereichen sehr wohl zu kritischem, realistischem Denken fähig. Es ist wohl richtiger, das magische Denken als durchaus sinnvolle, allerdings - verglichen mit dem kritischen Denken - weniger erfolgreiche Form der geistigen Anpassung anzusehen. Die Magie erfüllt in ihrer Form als «weiße», wohlwollende Magie sehr wichtige seelische Stützfunktionen, um die zahlreichen Gefahren zu mildern, welche die Fortdauer des erwachenden menschlichen Bewußtseins gefährden mußten. Sie ist somit die älteste Psychotherapie.

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