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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Hemmungen

Autor
Autor:
Julia Schneider-Ermer

innere Widerstände gegen eine eigentlich beabsichtigte Leistung oder einen triebhaften Wunsch. Leistungshemmungen wurzeln in einer Selbstunsicherheit, einer Angst vor der Kritik der anderen. Diese Scheu geht meist auf frühe Erfahrungen zurück: etwa wenn schon dem Kind keine Leistung zuge traut, kein Wagnis erlaubt, keine Anerkennung gewährt worden ist. Solche Hemmungen äußern sich als Lernschwierigkeiten, Verstummen in größerer Gesellschaft, steifes und ungeschicktes Gebaren, Stottern usw. Bis zu einem gewissen Grade muß die Erziehung die spontane Aktivität des Kindes eindämmen, um es vor noch unbekannten Gefahren zu schützen. Aber dabei muß ein Freiraum gewahrt, ja geradezu gebahnt werden, um späterhin ein selbständiges Leben zu ermöglichen. Eine besondere Rolle spielen die Hemmungen, die während der frühen Kindheit (vor allem in der Latenz) gegen die Triebwünsche aufgebaut werden. Die Erziehung bestätigt hier eine Entwicklung, die die Menschenart als Ganzes durchgemacht hat. Sie leitet das Kind durch die Phasen der prägenitalen Sexualität, verhilft zur Überwindung (oder auch zur Verdrängung) der analen Tendenzen und pflanzt aufs neue das uralte Inzest-Tabu ein. Sie lehrt die traditionelle Moral, die weithin die Sexualität überhaupt als verboten, sündig und schmutzig erscheinen läßt. Die Gebote und Verbote der Eltern, die im Einklang mit ihrer Umwelt stehen, werden verinnerlicht, in das eigene Gewissen oder Über-Ich aufgenommen. Dort wirken sie weiter, wenn man sich äußerlich von den Eltern längst gelöst hat, und kontrollieren das Denken und Tun auch da noch, wo es niemand sonst beurteilen könnte. Zum großen Teil sind es nicht bewußte Entscheidungen, denen man folgt, sondern unbewußte Tabus, deren Berechtigung nicht mehr infrage gestellt wird. Die Hemmungen setzen sich indes nie ganz gegen die Triebwünsche durch. Hemmung und Trieb gehen vielmehr einen Kompromiß miteinander ein, in dem sich beide Kräfte erkennen lassen. So mag jemand einer sexuellen Verlockung folgen, die sein Über-Ich unbewußt ablehnt, und der sexuelle Vollzug bleibt dann ohne Genuß und Befriedigung oder muß mit Schuldgefühlen bezahlt werden. In den Symptomen der Hysterie und Neurose äußert sich der sexuelle Antrieb in einer Weise, die den Ursprung nicht ohne weiteres verrät und eher Leiden als Lust einbringt. Noch in der Entstellung der Träume oder in den Fehlleistungen zeigt sich das Gegenspiel von Triebwünschen und Hemmungen, die zu einem scheinbar einheitlichen Gebilde verschmelzen. Manche Triebwünsche werden unter dem Druck der Hemmungen auf ein Gebiet abgelenkt, in dem ihre Befriedigung weniger gefährlich ist. Man nimmt mit einem Ersatz vorlieb oder kann eine Sublimierung vollziehen. Dann entgeht man zwar dem Tadel oder dem Neid der Mitwelt, verzichtet aber auch auf den vollen Genuß, den die ungehemmte Befriedigung geboten hätte. Die Unterordnung der Triebwünsche unter die Regeln der Gemeinschaft ist noch wichtiger im Falle der Aggression. Sie wird vornehmlich »in den Dienst einer anderen Absicht« ge stellt, »deren Ziel auch mit milderen Mitteln zu erreichen wäre« (Freud), das heißt, sie darf sich z. B. in der Kinderziehung, in Arbeits und Militär-Drill oder im Krieg äußern. In besonderen Umständen, etwa in Grenzsituationen, zeigt sich , wie leicht die Hemmungen der Kultur wieder abgestreift werden. Es ist klar, daß Hemmungslosigkeit eine Gemeinschaft unmöglich machen würde. Die Gefahr der Hemmungen liegt darin, daß sie unbewußt sind; daß ihre Ursache nicht bekannt ist; daß deshalb kein Urteil über ihre Berechtigung und über deren Maß möglich ist. Wenn man sie sich bewußt machen würde, könnte man vernünftig entscheiden, welche Triebwünsche man sich gewähren soll und darf und wann man auf ihre Befriedigung verzichten muß und will. Man würde sie nicht mehr verdrängen, ihnen ebenso wie den Trieben nicht mehr hilflos ausgeliefert sein, die Macht des Ich stärken.

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