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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Entscheidung

Autor
Autor:
Irene Roubicek-Solms

Begriffsklärungen und Übersicht

Unter einer Entscheidung verstehen wir jeden Prozeß und sein Ergebnis, der dazu führt, daß eine oder mehrere Personen sich darauf festlegen, eine oder mehrere Optionen gegenüber anderen Optionen zu bevorzugen. Diese Übersicht befaßt sich jedoch nicht mit sozialen Entscheidungen, die in Gruppen oder anderen Organisationsformen von mehr als einem Mitglied getroffen werden. Wir beschränken uns auf Entscheidungen einer einzelnen Person; Prozesse der Interaktion zwischen Mitgliedern entscheidender Gruppen werden hier also nicht behandelt. Eine akzentuierende Abgrenzung der Entscheidung von zwei anderen zentralen Begriffen der Allgemeinen Psychologie erscheint hilfreich, von Konflikt und von Urteil.

Urteile stellen qualitative, quantitative oder relationale deskriptive Aussagen dar, die sich auf wahrgenommene oder erschlossene kognitive Sachverhalte beziehen. Bei Entscheidungen steht tendenziell der bewertende Bezug auf das eigene Verhalten im Vordergrund, insbesondere soweit, wie die möglichen Folgen der Optionen für eigene Werte und Ziele verglichen werden. Man kann, auch wenn das in der Literatur nicht durchgängig geschieht, Konflikt (conflict) und Entscheidung (decision) differenzieren. Die intraindividuelle Konfliktforschung findet in einem eher motivationstheoretischen Kontext statt und bezieht sich auf den Prozeß, der durch mindestens zwei gleichzeitig existierende, jedoch nicht gleichzeitig zu verwirklichende Verhaltenstendenzen ausgelöst und durch einen Entschluß beendet werden kann (Feger, 1978; Feger & Sorembe, 1983). Typische verhaltensdeskriptive Variablen sind in dieser Forschungstradition Entscheidungszeit, Informationssuche, Entschluß und seine Stabilität, erlebnisdeskriptive Variablen, die subjektive Sicherheit, sich richtig entschieden zu haben, Konfliktstärke und Wichtigkeit der Entscheidung. In den letzten Jahrzehnten wird die Thematik auch aus der Perspektive kognitiver Forschung behandelt. Prozesse der Informationsverarbeitung und der mentalen Repräsentation stehen im Vordergrund, aber auch die Nachkonfliktphase und die Einbettung des Geschehens in den sozialen Kontext werden thematisiert (Ranyard, Crozier & Svenson, 1997). Während die Konfliktforschung sich eher mit personenbezogenen Variablen - konzipiert als Motive, Antriebe, Reaktionstendenzen u.ä. - und mit intraindividuellem Geschehen befaßt, etwa dem Sammeln, Ordnen und Gewichten von Informationen, setzt die Entscheidungsforschung bei schon gegebenen, vom Versuchsleiter definierten Optionen an. Den Personen schreibt man unterschiedliche Vorlieben für diese Optionen zu. Ferner beachtet man unsichere entscheidungsrelevante Ereignisse der "Umwelt", deren Eintretenswahrscheinlichkeiten berücksichtigt werden. Dies führt dazu, daß in der empirischen entscheidungstheoretischen Forschung die Struktur der Situation relativ explizit vorgegeben wird, während ein wesentlicher Teil der Konfliktforschung die Struktur der Situation erst explizieren will.

Für die weitere Gliederung dieses Forschungsbereiches ist die Unterscheidung zwischen Entscheidungen bei Sicherheit (Wahlen) gegenüber Entscheidungen bei Unsicherheit wesentlich. Die Sicherheit bezieht sich auf das Eintreten der Folgen einer geäußerten Bevorzugung: Bestellt man ein Auto vom Typ VW Golf, so kann man sicher sein, diesen Typ zu erhalten. Wünscht man sich Konzertkarten für die zweite Reihe, so gehört es zur Konvention einiger Agenturen, bei Ausverkauf auch einige andere Reihen anzubieten. Entscheidungen bei Sicherheit sind Gegenstand von Präferenztheorien, Entscheidungen unter Unsicherheit behandelt insbesondere die durch von Neumann und Morgenstern entwickelte Spieltheorie, an deren Seite einige neuere Ansätze getreten sind (als klassische systematische Darstellung: Luce & Suppes, 1965).



Entscheidungen bei Sicherheit: Präferenzen und Wahlen

Präferenz ist ein hypothetisches Konstrukt, das sich auf die Bevorzugung einer oder mehrerer Optionen (Wahlmöglichkeiten, Alternativen) gegenüber einer oder mehreren anderen Optionen bezieht. In einigen Theorien wird Präferenz als Nettodifferenz von Nutzen und Schaden der einzelnen Optionen aufgefaßt und somit als integrierende Reaktion auf verschiedene Nutzenaspekte konzipiert (Präferenz). Andere Theorien der Entscheidung bei Sicherheit beginnen mit Wahl als Grundbegriff. In Anlehnung an Bush, Galanter und Luce legt man fest, daß eine Wahl immer dann getroffen wird, wenn ein Organismus, sei es in seiner natürlichen Umgebung oder im Labor, mit einer Menge von mindestens zwei einander ausschließenden Wahlmöglichkeiten (responses) konfrontiert wird und er eine Möglichkeit auswählt oder ausführt. Dieser behaviorale Begriff läßt offen, ob die Wahl bewußt vollzogen wurde - eine Ratte "wählt’" einen Arm im Labyrinth. In der Entscheidungsforschung schränkt man diesen breiten Wahlbegriff, der Experimente zur Psychophysik und zum Lernen einschließt, auf solche Wahlen ein, bei denen Optionen zu bewerten sind und zu diesem Zweck Informationen zur Verfügung stehen, wobei die Bewertungskriterien dem Forscher oft unbekannt sind.

Erhebt man Präferenzen und Wahlen, so stößt man auf einige typische Probleme. Die Reaktionen sind ihrem Inhalt nach systematisch abhängig von der Darbietungsform der Fragen. Auf diese "framing effects" haben besonders Kahneman und Tversky hingewiesen. Auch hinsichtlich der Reaktionsformen bestehen systematische Fehler als Präferenzen z. B. für die Antwort "Ja" gegenüber "Nein", als recency oder primacy Effekt u.ä. Für die Wahlen von Ratten im Labyrinth hat man z.B. intraindividuell konstante Präferenzen für Richtungen festgestellt. Fehler dieser Art lassen sich durch Randomisieren und andere Versuchstechniken nicht beseitigen; diese Techniken erhöhen tendenziell die Variabilität. Für Präferenzen und Wahlen ergibt sich gleichermaßen die Frage, welche Struktur sie aufweisen. Oft wird diese Struktur als Präferenzrelation beschrieben. Diese Relation soll eine bestimmte Menge von Anforderungen erfüllen, die als Axiome formuliert werden.

An dieser Stelle wird der Unterschied zwischen normativen und deskriptiven Theorien des Entscheidens wichtig. Deskriptive Theorien versuchen die empirischen Befunde konzis und widerspruchsfrei zu beschreiben und möglichst einfach zu erklären. Normative Theorien stellen Ratschläge für Entscheidungssituationen bereit, spezifizieren die Voraussetzungen für ihre Anwendungen und legen insbesondere die von ihnen eingesetzten Kriterien optimalen Entscheidens offen. (Inzwischen besteht eine gut etablierte professionelle Entscheidungsberatung.) Theorien rationaler Entscheidungen haben besonders in den Wirtschaftswissenschaften großes Interesse gefunden, auch aufgrund der Annahme, irrationales Verhalten werde vom Markt verdrängt. Sozialwissenschaftler kritisieren die "unrealistischen" Voraussetzungen wie beispielsweise unbegrenzte Unterscheidungs- und Rechenfähigkeiten des Entscheidungsträgers. Um die Präferenz für solche Optionen vorherzusagen, deren Zusammensetzung aus Merkmalen bekannt ist, muß man wissen, wie - mit welchem Gewicht und mit welcher Richtung - die einzelnen Merkmale zur Gesamtpräferenz beitragen, und wie diese Beiträge in einer Aggregationsformel kombiniert werden.

Sind jedoch diese Merkmale nicht hinreichend bekannt, dann kann man auf eine fundamentale Annahme zurückgreifen: Die Ähnlichkeit der Optionen und die Präferenz ihnen gegenüber hängen zusammen; ähnliche Optionen werden in gleichem Grade bevorzugt. Für unähnliche Optionen treffen verschiedene Modelle unterschiedliche Aussagen. Statt Zuschreibungen von Merkmalen vor der weiteren Analyse zunächst in Ähnlichkeitskoeffizienten zu verwandeln, kann man multiattributive Optionen als Merkmalsvektoren direkt vergleichen. Dazu werden Regeln herangezogen, etwa die schon erwähnte Dominanzregel. Diese Regeln unterscheiden sich danach, welches Skalenniveau der Präferenzen für die Optionen sie annehmen und hinsichtlich der angenommenen Vergleichbarkeit der verschiedenen Optionsmerkmale. Die Dominanzregel beispielsweise ordnet die Präferenzen für Optionen auf Ordinalniveau. Sie stellt keine Vergleiche zwischen den Merkmalen an. Hingegen nimmt das "Additive Differenzen-Modell" wenigstens Intervallskalenniveau für die evaluierten Kennwerte aller Attribute (Nutzen der Merkmale) an. Die Differenzen werden attributweise zwischen je zwei Optionen berechnet (Vergleichbarkeit wird also postuliert). Dann werden die Differenzen über alle Attribute zusammengefaßt. Für die inzwischen zahlreichen Regelvorschläge versucht die Forschung derzeit, spezifische Gültigkeitsbedingungen zu finden.



Entscheidungen unter Unsicherheit

Um Allgemeines über Entscheidungen aussagen zu können, die nach ihren Optionen so unterschiedlich wie die Wahl zwischen Nachspeisen oder wie der strategische Einsatz von Armeen sein können, hat die Forschung über sichere (risikofreie) Entscheidungen das Konzept der Präferenz eingeführt. Die entsprechende abstrakte Idee in der Spieltheorie, die sich mit unsicheren Entscheidungen befaßt, ist der Nutzen (utility) von Optionen - ein hypothetisches Konstrukt, um verschiedene Optionen vergleichbar zu machen. Wie läßt sich die Unsicherheit berücksichtigen, welche entscheidungsrelevanten Umweltbedingungen eintreten werden?

Die Spieltheorie arbeitet mit der Idee des erwarteten Nutzens: Der quantifizierte Nutzen einer Option wird mit der Eintretenswahscheinlichkeit eben dieser Option multipliziert. Dann soll der Entscheidungsträger nach dem Prinzip der Nutzenmaximierung jene Option wählen, deren erwarteter Nutzen am größten ist. Dazu ein Beispiel in der Form von zwei Spielen oder Losen (gambles, lotteries), wie sie in der experimentellen Forschung häufig verwendet werden. Der "Spieler" hat die Wahl zwischen den Optionen: Würden Sie lieber die Chance bekommen, 1) mit 1% Wahrscheinlichkeit 1000 DM zu gewinnen, oder 2) mit 50% Wahrscheinlichkeit 2 DM? Im 1. Spiel darf man erwarten, in einer von 100 Wiederholungen 1000 DM zu gewinnen - im durchschnittlichen Fall also



Im 2. Spiel sind es



Das 2. Spiel wäre eindeutig zu bevorzugen.

Aus diesem Ansatz ergibt sich die Notwendigkeit, Nutzen auf hohem Skalenniveau zu messen, womit sich seit Jahrzehnten insbesondere Mathematiker, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler befassen. In der experimentellen Forschung zeigte sich bald, daß ein "objektiver" Nutzen (gemessen z. B. als Geldwert) zur Vorhersage bei der Auswahl von Optionen wenig geeignet ist, u.a., weil der subjektive Nutzen (erhoben als Einschätzung durch den Entscheidungsträger) weniger als linear mit dem objektiven Nutzen ansteigt (die ersten 1000 DM erscheinen mehr wert als die zweiten).

Auch der "subjektive" Umgang mit den Ereigniswahrscheinlichkeiten entspricht nicht völlig den objektiven Vorgaben: Kleinere Wahrscheinlichkeiten werden über-, mittlere und große unterschätzt. Die Forschung reagierte auf diese Befunde mit der Entwicklung entsprechender Entscheidungsmodelle, insbesondere dem "subjective expected utility model" (SEU) und mit Modellen, die nur ordinale Information benötigen (gute sozialwissenschaftliche Einführung: Shubik, 1985; Feger & Sorembe, 1983). Unsicherheit kann auch durch instabile Präferenzen des Sich-Entscheidenden entstehen. Für den Fall, daß sich Wahlwahrscheinlichkeiten verläßlich bestimmen lassen, hat Luce ein Wahlaxiom als probabilistisches Entscheidungsmodell formuliert: Die Wahrscheinlichkeit, x aus der Gesamtmenge der Optionen (T) zu wählen, ist gleich der Wahrscheinlichkeit, x aus einer Teilmenge R zu wählen, multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit, R aus T zu wählen. Wie Luce zwanzig Jahre später zeigte, ist dieses Axiom - so plausibel es ist - oft nicht erfüllt, vermutlich, weil Kontexteffekte existieren: Das einzige Fischgericht auf der Karte zieht relativ mehr Präferenzen auf sich als das gleiche Gericht unter mehreren Fischalternativen (Für eine Übersicht auch über neuere Modelle, etwa Portfolio-Theorie, Prospect-Theorie und das Modell der Elimination-by-Aspects-Regel, Slovic, Lichtenstein & Fischhoff, 1988).

Literatur

Feger, H. (1978). Konflikterleben und Konfliktverhalten. Bern: Huber.

Feger, H. & Sorembe, V. (1983). Konflikt und Entscheidung. In H. Thomae (Hrsg.), Theorien und Formen der Motivation. Enzyklopädie der Psychologie C, Serie IV, Bd. 1, Göttingen: Hogrefe, S. 536 - 711.

Luce, R. D. & Suppes, P. (1965). Preference, utility, and subjective probability. In R. D. Luce, R. R. Bush & E. Galanter (Eds.), Handbook of Mathematical Psychology, Vol. III, chapt. 19, pp. 249 - 410.

Ranyard, R., Crozier, W. R. & Svenson, O. (eds.). (1997). Decision making. Cognitive models and explanations. London: Routledge.

Shubik, M. (1985). Game theory in the social sciences. Cambridge, Mass.: The MIT Press.

Slovic, P., Lichtenstein, S. & Fischhoff, B. 1988. Decision making. In R. C. Atkinson, R.J. Herrnstein, G. Lindzey und R. D. Luce (Eds.), Stevens’ Handbook of Experimental Psychology, 2nd ed., Vol. 2, chapt. 10, pp. 687 - 738.


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