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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Politik

Autor
Autor:
Katharina Weinberger

die Regelung des Zusammenlebens in einer größeren Gemeinschaft, nach der ursprünglichen Wortbedeutung in der »Polis«, dem griechischen Stadtstaat, und zugleich die Auseinandersetzung einer als Staat organisierten Gesellschaft bzw. eines Volkes mit anderen Staaten. Da Politik von Menschen, Führern, mit Menschen, Funktionären, und für Menschen gemacht wird, ist sie stets von seelischen Bedingungen mitbestimmt und hat ihrerseits Einfluß auf die Seelenlage derer, die sie betreiben oder ihren Folgen ausgesetzt sind. Es sind Menschen von besonderen Charaktereigenschaften, die zu politischen Führern taugen oder sich zur Führung drängen. Oft erstreben sie eher Ruhm und Macht, als sie um das Wohl der Gemeinschaft besorgt sind. Dann sind sie auch der Verführung durch Macht bis zum Machtwahn ausgesetzt (vgl. Paranoia). Viele von ihnen vertreten Einzel und Gruppeninteressen, die sie als Interesse des Ganzen hinstellen. Aber was immer ihre bewußten Absichten sein mögen, sie werden darin nur zu oft von unbewußten Strebungen gestört, die aus ihren Gefühlsbedürfnissen oder ihren persönlichen Komplexen stammen. So scheint oft ein momentaner Erfolg wichtiger zu sein, als das langfristige Ziel, das er in Frage stellen mag. Die Austragung einer Rivalität mag eine Zusammenarbeit unmöglich machen, die eigentlich Vorrang haben sollte. Die Zustimmung einer Masse mag Befriedigung gewähren, obwohl die vernünftige Einsicht lehren könnte, daß die Masse kein Urteil hat. Wenn ein Politiker Gefolgschaft gewinnt, beruht das umgekehrt meist weniger auf seinen sachlichen Fähigkeiten als auf der Gabe, Emotionen zu stimulieren. Hitler verdankte seine Stellung nicht zuletzt der Tatsache, daß er für die unbewußten Regungen bei einem großen Teil des Volkes in einer kritischen Zeit empfänglich war, sie weitgehend teilte und sie als Demagoge anzuheizen wußte. Zu seiner wie jeder Macht eines politischen Führers gehört die Mitwirkung einer Gruppe von Funktionären, die sich dieser Macht unterordnen, um Anteil an ihr zu haben und sich zugleich auch um sie zu streiten. Es sind dies Menschen, die nie hoffen könnten, aus eigener Kraft an die Spitze zu gelangen, obwohl einige von ihnen es dann versuchen und dabei scheitern. Die Basis jeder politischen Macht ist jedoch die Gefolgschaft. Äußerliche Mittel allein würden nie reichen, um sie langfristig zu sichern. Selbst die Drohung mit Gewalt wirkt weniger dadurch, daß sie als Strafe für Ungehorsam tatsächlich angewandt wird, als durch die Ausbeutung bereitliegender Angst. Es ist letztlich die Angst, sich als Einzelner von der Gruppezu unterscheiden und von ihr ausgestoßen zu werden. Die meisten Menschen fühlen sich nur in der Gruppe sicher und sehnen sich nach einer Führung, die ihnen alle Zweifel, jede Verantwortung und am Ende auch jede Schuld abnehmen könnte. Politische Konflikte sind zum Teil Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen, sodaß es zu den Zielen einer Staatsführung gehört, alle Gruppen der Gesellschaft auf einen gemeinsamen Konsensus zu verpflichten, der die widerstreitenden Interessen verdecken soll. Das geschieht fast nur durch die Erweckung von gemeinschaftlichen Gefühlen, dem der Liebe und Identifikation untereinander, und dem des Hasses, der auf Feindgruppen abgelenkt und damit von der Gemeinschaft abgehalten wird. Die Schwierigkeiten einer politischen »Psychotechnik«, die planmäßig Gefühle und seelische Bedürfnisse für Machtinteressen ausbeuten will, liegen in der Unberechenbarkeit des Psychischen. Ein Gefühlssturm, der zu einem gewissen Zweck entfacht worden ist, kann eine Gewalt entwickeln, die sich nicht mehr bändigen läßt, wie dies bei der chinesischen Kulturrevolution geschehen zu sein scheint. Er kann sogar in das Gegenteil dessen umschlagen, was man eigentlich erreichen wollte. Der Versuch, eine geschworene Gemeinschaft an eine politische Führung zu binden, ist weiter ständig gefährdet durch jene Menschen, die sich durchaus als Einzelne verstehen, sei es, weil sie gemeinschaftsunfähig (asozial) sind, sei es, weil sie als Künstler, als Wissenschaftler und Denker für ihre Lebensaufgaben ein Höchstmaß an Freiheit brauchen. In gewisser Weise ist die politische Geschichte ein Abbild der Auseinandersetzungen des Einzelnen im Lauf seines Lebens. Der politische Führer vertritt den Vater, den das Kind fürchtete, liebte, bewunderte und bis zum Mordwunsch hin haßte. Der Heranwachsende mag gegen den Vater rebellieren, wie Revolutionen Herrscher beiseite gefegt haben. Er mag mit anderen eine Brudergemeinschaft bilden, in der die Autorität des Vaters durch eine demokratische Abstimmung miteinander ersetzt wird. Er mag sich aber auch endgültig der Autorität beugen. Die Charakterunterschiede zwischen den Einzelnen, von denen die Entscheidung zu der oder jener Haltung abhängt, entsprechen den Unterschieden zwischen den Volks-Charakteren. So hat man den Eindruck, daß die Menschen in den USA eher zu einer Brudergemeinschaft neigen, daß man in Frankreich relativ leicht rebelliert, und daß das deutsche Volk für autoritäre Regungen besonders anfällig ist. Wie sich in der Geschichte eines Einzelnen die Einflüsse und Erfahrungen ausmachen lassen, die den Charakter prägten, lassen sich auch in der Geschichte der Völker die Eindrücke benennen, die zum Nationalcharakter geführt haben. Natürlich kann die Psychologie nicht alle Umstände erfassen, von denen Politik bestimmt wird. über den ökonomischen und sozialen Bedingungen, wie sie etwa im Zentrum der Theorien von Karl Marx stehen, und über den idealen Zielen, die so oft beschworen werden, vergißt man viel zu leicht die psychischen Grundlagen, die die Poltik geradeso hat wie alles andere, was Menschen tun.

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