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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Computer

Autor
Autor:
Irene Roubicek-Solms



Einführung

Noch vor 25 Jahren war der Umgang mit Computern Spezialisten vorbehalten. Inzwischen sind computergestützte Systeme nahezu selbstverständliche Arbeitsmittel in allen Berufen. Auch in der Freizeit nimmt die Nutzung von Computern in vielfältigen Formen zu. Diese Entwicklung kann jedoch nicht als ungetrübte Erfolgsgeschichte beschrieben werden, dazu ist die Zahl der Fehlschläge bei neuen Anwendungssystemen zu groß, sind die anhaltenden Schwierigkeiten bei der Interaktion mit Computern nicht zu übersehen. Ein gutes Beispiel für die Interaktionsproblematik ist der Personalcomputer (PC), der mit zahlreichen Anwendungsprogrammen (z.B. Bürofunktionen, Telekommunikation, Datenbankrecherche) mit jeweils Dutzenden bis Hunderten Funktionen einen Grad an Komplexität erreicht hat, der bei vielen Arbeitsaufgaben wie eine massive, fehlerträchtige Zugangsbarriere wirkt. Selbstkritisch wird von Software-Herstellern eingeräumt, daß die Benutzerunfreundlichkeit dieser "hochgezüchteten eierlegenden Wollmilchsau" eines der wichtigsten, wenn nicht das wichtigste Hemmnis für eine zügige Verbreitung (und Absatz) dieser Technik sei. Die Benutzerfreundlichkeit (usability) der Mensch-Computer-Interaktion mit ihren zahlreichen Gestaltungsaspekten im Schnittpunkt von Arbeitswissenschaft, Sozialwissenschaften - hier vor allem der (Arbeits-) Psychologie - und der Informatik ist damit als ein Kernproblem für die Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik anzusehen.

Gestaltungsaspekte

Zum Gestaltungsbereich der Hardware-Ergonomie gehören nicht nur die eigentliche Hardware wie Bildschirm, Tastatur/Maus und andere Geräte für die Ein- und Ausgabe von Informationen sondern auch das Mobiliar und die Umgebungsbedingungen (Beleuchtung, Lärm, Raumklima). Erstaunlicherweise sind gesundheitliche Beeinträchtigungen aufgrund ergonomischer Mängel des Bildschirm-Arbeitsplatzes weit verbreitet. So berichten nach vielen Feldstudien 50 - 70% der Befragten über visuelle Beschwerden. Als Ursachen werden einerseits die intensive visuelle Beanspruchung im Nahbereich angenommen, andererseits auch ergonomische Defizite (z.B. unscharfe Zeichen, Flimmern, Blendung) und durch sie ausgelösten - vorübergehenden - Störungen visueller Funktionen.

Ebenfalls häufig sind Muskel- und Skelettbeschwerden im Hals, Nacken, Schulter, Rücken und Arm. Sie werden auf leichte Abweichungen von einer entspannten Arbeitshaltung (statische Haltungsarbeit) zurückgeführt, die durch die Konfiguration der Arbeitsgeräte erzwungen wird. Die Überlastung kleiner Muskelgruppen wurde im Zusammenhang mit der Bildschirmarbeit als "Repetitive Strain Injuries" (RSI) wiederentdeckt. Die Schmerzen in Muskeln und Gelenken von Hand, Arm, Schulter und Nacken treten nicht nur bei lang dauernder Bedienung der Tastatur sondern auch der Maus ("Maus-Finger") oder bei Steuergeräten ("Nintendo-Daumen") auf. Diese Beschwerden neigen zur Chronifizierung, die bei entsprechenden Berufen (z.B. Sekretärin, Journalist) eine zumindestens zeitweilige Berufsunfähigkeit zur Folge haben kann.

Der Bildschirm auf der Basis der Braun’schen Röhre emittiert elektromagnetische Wellen im gesamten Spektrum und elektromagnetische Felder (Elektrosmog). Die möglichen Risiken im Sinne einer Gefährdung der Schwangerschaft, von Hautreizungen im Gesicht, von Augentrübungen (Katarakt) wurden viel diskutiert. In zahlreichen epidemiologischen Studien ließen sich derartige Vermutungen jedoch nicht belegen. Ein weiteres langfristiges gesundheitliches Risiko - vor allem für das Herz-Kreislaufsystem - wird in der Zunahme der sitzenden Körperhaltung gesehen. Insgesamt ist die derzeitige Situation unbefriedigend. Die zur Abhilfe empfohlenen Mittel, wie 5 - 10 Minuten Pause pro Arbeitsstunde am Bildschirm, die Begrenzung der Bildschirmtätigkeit auf maximal die Hälfte der täglichen Arbeitszeit, Programme zum Entspannungs- bzw. Bewegungstraining lassen sich selten dauerhaft durchsetzen und stellen lediglich einen Notbehelf dar. Am ehesten ist eine Besserung durch die breite Einführung ergonomisch besserer Bildschirme und durch vernünftige Formen der Mischarbeit zu erwarten.

Als zu Beginn der 80er Jahre erstmalig Computer-Novizen sich in größerem Umfang mit der Arbeit am Terminal auseinandersetzen mußten, traten zahlreiche Schwierigkeiten und Belastungen auf, die offensichtlich auf Defizite der Software zurückgingen und die in ihrer Summe den erhofften Rationalisierungsschub nicht selten infrage stellte bzw. zunichte machten. Die Probleme gaben den Anstoß zur raschen Entwicklung einer neuen, interdisziplinären Forschungsrichtung, für die sich die Bezeichnung Software-Ergonomie durchgesetzt hat. Im Kern geht es darum, die Software so zu gestalten, daß sie an der Schnittstelle mit den Eigenschaften des kognitiven Apparates des Menschen (Wahrnehmung, Denken, Lernen, Gedächtnis) kompatibel und an die Art der Arbeitsaufgaben angepaßt ist. Zunächst lag der Schwerpunkt auf der Gestaltung der auf dem Bildschirm dargestellten Informationen. Typische Themen dieser Art sind Fragen der Kommando-, Menü- und Fenstergestaltung, Fehlerbehandlung (Fehler), Hilfestellung, variable und verzögerte Reaktionszeiten des Systems. Andere Problemstellungen betreffen die Berücksichtigung des Vorwissens der Benutzer (mentale Modelle), die Gedächtnisüberlastung durch interaktionsspezifische Kommandos, syntaktische Regeln, Paßwörter etc., die Unterstützung von räumlich und zeitlich verteilten Arbeitsgruppen (Groupware), die Einführung, Qualifizierung und das Training für neue Anwendungssysteme, die Anpassung der Schnittstelle an die Benutzer, die Arbeitssituation von Software-Entwicklern. Die rasche Entwicklung im Bereich Multimedia stellt ständig neue Aufgaben, so daß die Forschung Mühe hat, mit dem Tempo mitzuhalten. Hier ist eine Multimedia-Psychologie im Entstehen, die im Verein mit der eher grundlagenorientierten Wissens-Psychologie (Wissen) schwierigen Fragen nachgeht: Wie entsteht aus der Überfülle von Informationen brauchbares Handlungswissen? Wie kann die Desorientierung beim Suchen in umfangreichen Datenstrukturen (lost in hyperspace) erklärt und verhindert werden? Wie sollte selbstgesteuertes Lernen unterstützt werden?

Früh haben vor allem Arbeitspsychologen darauf aufmerksam gemacht, daß Softwaregestaltung immer auch Arbeits- und oft auch Organisationsgestaltung ist - selbst dann, wenn dies dem Software-Designer nicht bewußt ist. So kann z.B. eine neu eingeführte Anwendungssoftware in einer Versicherung dazu führen, daß die Arbeitsaufgabe der Sachbearbeiter auf recht einfache Ein- und Ausgabetätigkeiten reduziert wird. Die nunmehr verstärkt auftretenden Effekte - Ermüdung und Monotonie - mit ihren negativen Folgen für die Arbeitsleistung und Arbeitszufriedenheit werden typischerweise von den für die Planung Verantwortlichen nicht antizipiert und sicher auch nicht beabsichtigt, da sie sich betriebswirtschaftlich eher ungünstig auswirken.

Die moderne Informations- und Kommunikationstechnik läßt nahezu beliebige Gestaltungslösungen zu. Dieser Optionscharakter erleichtert es, vom Primat der Aufgabenstellung auszugehen. Dies bedeutet, daß erst nach der Konzipierung der Arbeitstätigkeit entsprechend den bewährten Prinzipien einer humanen und persönlichkeitsförderlichen Arbeitsgestaltung Überlegungen zur angemessenen Mensch-Computer-Arbeitsteilung angestellt werden. Für diesen breiteren Ansatz wurde folgerichtig die Bezeichnung "Arbeitsinformatik" vorgeschlagen. Die Psychologie kann neben ihren vielfältigen inhaltlichen Beiträgen auch ihre weit gespannte methodische Kompetenz einbringen. Zu erwähnen sind hier standardisierte Verfahren der Aufgaben- und Arbeitsanalyse, die zum Teil im Hinblick auf computerunterstützte Arbeitstätigkeiten entwickelt wurden. Weiterhin zählt dazu das Wissen um Evaluationverfahren und die methodischen Fertigkeiten bei der Aufarbeitung quantitativer und qualitativer Daten aus Experimenten und Befragungen. Schließlich ist auf das umfangreiche Erfahrungswissen für die Gestaltung partizipativer Prozesse, z.B. in Verbindung mit Rapid Prototyping, zu verweisen.

Normen und Regeln

Nicht zuletzt unter dem Eindruck der weltweiten Diskussion um die gesundheitliche Risiken der Arbeit am Bildschirm hat der Rat der Europäischen Gemeinschaft 1990 die "Richtlinie über Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit am Bildschirm" (90/270/EWG) erlassen (Arbeits- und Gesundheitsschutz). Diese EU-Bildschirmrichtlinie wurde 1996 mit einiger Verzögerung mit dem Arbeitsschutzgesetz und der entsprechenden Bildschirmverordnung in deutsches Recht umgesetzt. Inzwischen sind auch die Unfall-Verhütungsvorschrift "Arbeit an Bildschirmgeräten" der Verwaltungs-Berufsgenossenschaften sowie die in vielen größeren Organisationen bestehenden Betriebsvereinbarungen zur Bildschirmarbeit an die Vorgaben der EU-Bildschirmrichtlinie angepaßt worden. Sie setzt die Beachtung einer Reihe von internationalen ergonomischen Normen voraus, so der DIN EN ISO 9241 "Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten" (1995), die auf der Anfang der 80er Jahre erarbeiteten DIN 66234 basiert, durch die Software-Entwickler im Teil 8 "Dialoggestaltung" erstmalig mit nicht-technischen Gestaltungskriterien wie "Aufgabenangemessenheit", "Selbsterklärungsfähigkeit", "Steuerbarkeit", "Verläßlichkeit" und "Fehlertoleranz und Fehlertransparenz" konfrontiert wurden. Die EU-Bildschirmrichtlinie verpflichtet - neu im deutschen Arbeitsschutzrecht - die Arbeitgeber, neben den physischen auch die psychischen Belastungen zu ermitteln und ggf. abzustellen, eine Forderung, welche die korrektive und vor allem die präventive Gestaltung der Bildschirmarbeit vorantreiben wird. Eine wichtige Zukunftsaufgabe ist die Ausweitung dieser Arbeitsschutzregelungen auf die Tätigkeit von Selbständigen - z.B. bei Telearbeit -, auf nicht bezahlte Arbeit und auf Auftragnehmer, die nicht den EU-Regeln unterliegen.

Entwicklungstendenzen

Die klassische Mensch-Computer-Schnittstelle - Bildschirm mit Tastatur/Maus - wird zunehmend durch neue bzw. verbesserte Interaktionsformen wie das Agieren in dreidimensionalen virtuellen Welten, die direkte Manipulation von virtuellen Objekten, Sprachein- und -ausgabe ergänzt. Diese Ausweitung ist arbeitswissenschaftlich zu begrüßen, da sie der einseitigen Ausrichtung auf den optischen Kanal entgegenwirkt und verspricht, die reichen Möglichkeiten der Motorik besser zu nutzen. Hier hat die Technik der Computerspiele eine Pionierrolle gespielt, nicht nur in bezug auf leichte Bedienbarkeit sondern auch was die Ästhetik und den Spaß anbetrifft. Gegenläufig zu dem Trend, immer mehr Funktionen und Anwendungen in den PC zu integrieren (z.B. Fernsehen, Telekommunikation) entstehen neue Schnittstellen reduzierter Komplexität. Dazu gehören kleine, spezialisierte Netzcomputer (z.B. Set-Top-Boxen, intelligente Mobilfunkgeräte, elektronische Bücher, Handys, Palms, Auto-Bordrechner), bei denen die Software ins Netz verlagert wird. Auch Roboter, die zunehmend für Dienstleistungen eingesetzt werden, stellen dank ihrer verbesserten sensorischen Leistung und ihrer Beweglichkeit anspruchsvolle Aufgaben für die Gestaltung der Handhabung. Neu ist der Trend zu "unsichtbaren" Computern (Pervasive Computing), z.B. mit Chips bestückte (höherwertige) Verbrauchsgüter, die mit anderen Systemen (z.B. für die Wartung, zum Nachbestellen) aber auch mit dem Nutzer in Verbindung treten können. Die Schnittstelle wird dabei weitgehend in die gewohnte Bedienung integriert, so daß sie kaum als Interaktion mit einem Computer wahrgenommen wird (z.B. beim Auto).

Das Internet erlaubt die Verbindung und Integration weltweit verteilter Information und den direkten Zugriff darauf von beliebigen Orten und zu jeder Zeit. Bislang getrennte Anwendungen und Datenstrukturen wachsen zu einem globalen Netz ohne strikte Grenzen zusammen. Multimedia-Techniken gestatten es, Wissen aus verschiedenen Quellen (Text, Bild, Ton, Film) zu integrieren und durch Querverweise beliebig untereinander zu vernetzen. Charakteristisch für die neuen Techniken ist, daß ihr Anwendungsbereich noch offen ist und zunehmend von Kundenwünschen (Kundenorientierung) bestimmt wird.

Eine wichtige Zukunftsaufgabe ist das Angebot von maßgeschneiderten Schnittstellen, bei der sowohl die (geänderten) psychophysischen Leistungsvoraussetzungen als auch die Besonderheiten der Arbeitsaufgabe einer Person berücksichtig werden. So könnte das große Potential der Informations- und Kommunikationstechnik in sozialpolitisch erwünschter Weise dazu dienen, Leistungsgewandelten, Behinderten, Rehabilitanden und Älteren, die Möglichkeit einer qualifizierten Tätigkeit zu erhalten bzw. zu schaffen. Die Arbeit wird immer mehr bestimmt vom Suchen, Analysieren, Auswerten, Bewerten und Anwenden von Informationen. Die bisherige, relativ strikte Trennung von Lernen, Kommunizieren und Arbeiten löst sich auf. Neue Arbeitsformen wie Telearbeit und Arbeit in virtuellen Teams sowie Organisationsformen wie das virtuelle Unternehmen werden möglich. Die Forschung wird herausgefordert durch zahlreiche neue Fragen, z.B.: Wie sollen die - oft sehr umfangreichen - Datenmengen angemessen strukturiert und dargestellt werden? Wie ist die Navigation im Meer der Information zu lösen? Welche Verfahren der Exploration und Informationssuche führen zum Erfolg? Wie können multikulturelle Aspekte berücksichtigt werden? In dem rasanten Prozeß der kulturellen Evolution kann das Wissen zum Thema Mensch-Computer-Interaktion dazu beitragen, die unvermeidlichen Unkosten für zahllose System-Mutanten zu senken, da die rechtzeitige Umsetzung der Gestaltungsprinzipien die wirklich nützlichen und handhabbaren Systeme deutlicher hervortreten läßt.

Literatur

DIN EN ISO 9241 (1995). Ergonomische Anforderungen für Büroarbeiten mit Bildschirmgeräten. Genf: ISO

Eberleh, E. (Hrsg.). (1994). Einführung in die Software-Ergonomie. Berlin: de Gruyter.

Europäische Union (1990). Richtlinie über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (90/270/EWG).

Helander, M.G. (Ed.). (1997). Handbook of human computer interaction. Amsterdam: Elsevier.

Richenhagen, G., Prümper, J. & Wagner, J. (1997). Handbuch der Bildschirmarbeit. Neuwied: Luchterhand.

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