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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Psychologiegeschichte

Autor
Autor:
Manuela Bartheim-Rixen

ist zum einen eine Geschichte der Themen der Psychologie und zum anderen eine Geschichte der Psychologie als Wissensgebiet. Seit ältesten Zeiten befaßte sich der Mensch mit Menschen und Tieren. Im Altertum nahm dies systematische, zu Wissenschaften führende Formen an. Die Psychologien antiker Philosophen wie Plato, Aristoteles, Plotin oder Mediziner wie Hippokrates oder Galen sind aus ihren Schriften extrahiert worden. Allerdings konstituierte das Altertum weder ein Wissensgebiet Psychologie, noch verwendete es das Wort »Psychologie«. Eine Geschichte der Themen der Psychologie kann somit im Altertum beginnen, eine Geschichte der Psychologie als Wissensgebiet dagegen nur unter dem Vorbehalt, daß solch eine wissenschaftliche Einheit nicht konstituiert war..

1) Psychologie als Wissensgebiet: Ein verbindender Begriff und ein Name für dieses Wissensgebiet entstand im Renaissance-Humanismus. Aus der vor 1500 entstandenen Wortschöpfung »psychologia« leiten sich die Namen in den modernen europäischen Sprachen her. Die griechischen Namensteile für “Seele” und “Wissenschaft” haben immer wieder die Auffassung des Begriffs und des Gebietes bestimmt. Das Wort bezeichnete zunächst, was die de anima betitelte Schrift des Aristoteles behandelt. Es verbreitete sich langsam, in Seelenfragen hatten theologische Quellen Priorität, und Anti-Aristoteliker verwendeten andere Neologismen (wie Pneumatologie). Doch verblaßte die Bindung an den Aristotelismus, und das Wort benannte, was seine Bestandteile anzeigen: die Wissenschaft der Seele. Christian Wolffs Psychologia Empirica (1732) und Psychologia Rationalis (1734) wurden maßgebend. Als international übliche Termini etablierten sich "Psychologia", seine neusprachlichen Varianten aber erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Theoretisches Fundament der Psychologie waren in der Neuzeit die von Aristoteles übernommenen Konzepte der Ideen (Vorstellungen), der Möglichkeit ihrer Abkunft aus Sinneseindrücken (Empfindungen) und ihrer Rolle als Bausteine seelischen Geschehens. Mit Assoziationen arbeiteten der britische Empirismus (T. Hobbes, J. Locke, G. Berkeley, D. Hartley, D. Hume) wie auch kontinentale Philosophen (R. Descartes, B. Spinoza, G. W. Leibniz, E. de Condillac), ohne das Wort "Psychologie" zu verwenden. Bestimmend war die Descartessche Aufteilung der Welt in res extensa und res cogitans (Wolff: "Bewußtsein") sowie die Durchsetzung der Newtonschen Mechanik als Grundwissenschaft für die Körperwelt. Wolffs Psychologie sollte die analoge Grundwissenschaft für das Bewußtsein bilden. Durch Nachahmung von Physik und Chemie erhoffte man sich eine Beförderung der Psychologie: Vorstellungenstatik und -mechanik (J. F. Herbart) sowie Vorstellungen-Chemie nach Muster der Lavoisierschen Chemie (J. S. Mill) wurden verbreitete Konzepte.

2) Themen der Psychologie: Die Behandlung der Themen der Psychologie beschränkte sich keineswegs auf die Philosophische Fakultät. Die Medizinische Fakultät hatte nie Scheu, spezifische und grundlegende Fragen der Psychologie zu erforschen. Mit den Erkenntnissen der Anatomie und Physiologie seit dem 17. Jahrhundert wurden Physiologie und Psychiatrie medizinische Fächer, in denen man auch Psychologie betrieb. Entgegen der in der medizinischen Fakultät üblichen Parallelisierung der Fächer entlang der Grenze zwischen Normalität und Pathologie entstand jedoch kein non-pathologisches, psyche-bezogenes Fach und keine fakultätenübergreifende Anthropologie, die Physiologie und Psychologie sowie Normalität und Pathologie zusammenführt, in dieser Fakultät.

3) Sinnesphysiologie: Wichtig für die Entwicklung der Psychologie wurde die Sinnesphysiologie. Bis in das 19. Jahrhundert behandelte die Physik in Mechanik, Optik, Akustik und Wärmelehre sinnesphysiologische und -psychologische Fragen, trat sie aber schrittweise an die Physiologie ab, wie die Arbeiten der Physiologen J. Müller, E. H. Weber oder H. Helmholtz demonstrieren. Der physiologisch ausgebildete Physiker G. T. Fechner begründete eine Psychophysik, mit der er versuchte, seine spinozistische Ontologie empirisch, experimentell und mathematisch gestützt zu beweisen. Die Psychologie übernahm seine Methodik der Untersuchung der Reiz-Empfindungs-Beziehungen, die sog. äußere Psychophysik.

4) Expansion von Gebiet und Fach Psychologie: Für die Psychologie in der späteren Neuzeit ist die Spannung zwischen dem ausgedehnten Gebiet Psychologie und dem engeren, seit dem 19. Jahrhundert in der Philosophischen Fakultät angesiedelten Fach Psychologie bestimmend (Psychologie als Hochschulfach). Während das Gebiet Psychologie durch Forschungen vieler Fächer (etwa Anatomie, Physiologie, Physik, Zoologie) sich wandelte, verblieb das Fach Psychologie seit seiner Instrumentalisierung im Dienste der Gymnasiallehrerausbildung eine untergeordnete philosophische Spezialität. Die Expansion der naturwissenschaftlichen Fächer erneuerte in der Philosophischen Restfakultät den Wolffschen Wunsch nach Fundierung ihrer sich Geisteswissenschaften nennenden Fächer in einer der Physik vergleichbaren Grundwissenschaft, der Psychologie. Daraus entstanden Übertreibungen wie der durch den Neukantianismus bekämpfte Psychologismus, der Versuch, normative Wissenschaften wie Logik, Ethik, Ästhetik auf empirischer Psychologie aufzubauen. Aber die Konjunktur aus Bedarf an wissenschaftlich legitimierter Pädagogik und an Fundierung der Geisteswissenschaften erzeugte Hoffnungen, insbesonders nach 1848. Sinnesphysiologie, Neurophysiologie und Psychophysik schienen zu versprechen, daß eine quantifizierend und experimentell vorgehende Psychologie sich mit einer Methodik ausrüsten könne, deren Analogon den physischen Wissenschaften zu ihren Erkenntnisfortschritten verholfen hatte. Medizinisch ausgebildete Abwanderer in die Philosophische Fakultät wie R. H. Lotze und W. Wundt begründeten eine Physiologische Psychologie. Wundt konnte 1879 ein psychologisches Laboratorium in Leipzig einrichten. Diese neue Laboratoriumswissenschaft wurde richtungsweisend. H. Ebbinghaus und G. E. Müller begannen, das Gedächtnis, C. Stumpf die Tonwahrnehmung experimentell zu untersuchen. G. S. Hall und J. McK. Cattell propagierten diese neue Psychologie in den USA.

5) Nachbardisziplinen: Bald darauf konstituierte sich eine andere Wissenschaft, die es auch (allerdings nicht nur) mit Erleben und Verhalten zu tun hat, zu einem autonomen Fach, die Soziologie. Sie entwickelte sich aus der Juristischen Fakultät und den daraus früher hervorgegangenen Wirtschafts- und Geschichtswissenschaften und betonte folglich Sinnzusammenhänge. Es entstanden Grenzgebiete wie Massenpsychologie (Kollektives Verhalten) und Sozialpsychologie, die bis heute Psychologie und Soziologie verbinden und zwischen Betonung der Kausal- und Sinnzusammenhänge schwanken. Andere, Sinnzusammenhänge behandelnde Ansätze der Psychologie rangen um Platz in dem veränderten Fach, so die Kulturpsychologie (W. Wundts Völkerpsychologie), oder widersetzten sich der Dominanz der erklärenden Kausalzusammenhänge, so die Verstehende Psychologie (W. Dilthey) oder die geisteswissenschaftliche Psychologie (E. Spranger). Untergebiete wie komparative Psychologie interessierten zwar auch das Fach (W. Wundt), zumal in den USA (E. L. Thorndike, R. M. Yerkes), doch verblieben sie weitgehend in der Zoologie und werden dort als Verhaltensforschung oder Ethologie betrieben.

6) Psychologie-Schulen: In den folgenden Generationen bildeten sich um unterschiedliche Forschungsansätze Schulen der Psychologie, so die Würzburger Schule (O. Külpe), Gestaltpsychologie (M. Wertheimer, W. Köhler, K. Koffka), feldtheoretische Psychologie (K. Lewin; Feldtheorie), Ganzheitspsychologie (F. Krüger), in den USA der Strukturalismus (E. B. Titchener) sowie der Funktionalismus (W. James), der sich auf komparative Psychologie und auf I. P. Pawlow berufende Behaviorismus in seiner Ausfächerung vom radikaleren Behaviorismus (J. Watson, B. F. Skinner) zu moderateren Formen, die Kompromisse mit kognitiven Gegebenheiten erlauben (E. C. Tolman, Yale-Gruppe).

7) Professionalisierung: Mit der Entwicklung der Angewandten Psychologie (H. Münsterberg, W. Stern, W. D. Scott, J. M. Lahy) seit 1900 und der Einführung einer psychologischen Profession um die Mitte des 20. Jahrhunderts (Professionalisierung) veränderte sich das Fach durch Orientierung der Lehre und Forschung an der Berufsausbildung. Die bedeutendste Erweiterung des Faches ergab sich aus der Etablierung einer nicht-medizinischen therapierenden Praxis. L. Witmer gab zwar einen Anstoß dafür, doch Muster war die aus der Psychoanalyse S. Freuds und abgeleiteten psychotherapeutischen Verfahren (A. Adler, C. G. Jung) entwickelte Heilbehandlung durch medizinische Laien (Analytische Psychologie, Individualpsychologie). Ein erheblicher Teil der Erforschung der Sinnesfunktionen, z.B. des Denkens, des Gedächtnisses, der Emotionen, findet heute wie seit langem außerhalb des Faches Psychologie statt. Interdisziplinarität ist daher für das Gebiet Psychologie lebenswichtig.

Literatur

Benjamin, L. T. (Ed.). (1997). A history of psychology. New York: McGraw-Hill.

History of Psychology, seit 1998. Journal of the History of the Behavioral Sciences, seit 1965.

Schönpflug, W. (2000), Geschichte und Systematik der Psychologie. Weinheim: PVU.


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